Mirad 02 - Der König im König
er Futter für die ihm anvertrauten Krodibos kaufen und würde noch genug übrig behalten, um seine Familie über den langen Winter zu bringen.
Mit einem von zwei schweren Gäulen gezogenen Pferdegespann machten sich die Herrscher von Soodland und ihr Gefolge an die letzte Etappe der Tagesreise. Gerade rechtzeitig vor dem Schließen der Stadttore trafen sie in Bjondal ein. Die Ankömmlinge mussten nicht einmal ihre Vermummung abnehmen, so oberflächlich waren die Kontrollen beim Einlass. Dagegen wurden die wenigen, die den Ort verließen, ungewöhnlich streng überprüft. Es kam Twikus so vor, als wollten die Posten jemand oder etwas ganz Bestimmtes nicht aus der Stadt entkommen lassen.
Obwohl die Reisenden ausnahmslos müde und durchgefroren waren, begab man sich umgehend zum »Haus der Verwahrung« – so wurde jene öffentliche Einrichtung genannt, die der Unterbringung von Strolchen jeglicher Art oder anderweitig unangenehm aufgefallener Zeitgenossen diente. Auch der ursprünglich wegen seines unharmonischen Gesangs in Verdacht geratene Fremde war von der Trällernden Meerjungfrau hierher umgezogen.
Twikus verfolgte vom Kutschbock aus, wie sich Fingard umständlich herabhangelte, zur Pforte des Verwahrungshauses stapfte und klopfte.
Nichts geschah.
Er hämmerte mit seinen wunden Knöcheln noch ein zweites und drittes Mal dagegen.
»Soll ich mal ums Haus herumgehen und mich nach jemandem umsehen?«, fragte Popi.
Twikus schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Ich möchte, dass du hier bleibst und auf das Gespann aufpasst. Gleich wird nämlich jemand kommen und uns Übrigen einlassen.«
Obwohl der Schildknappe derlei Ankündigungen seines Herrn nicht zum ersten Mal vernahm, überraschte ihn immer wieder die ruhige Gewissheit, mit der Twikus oder Ergil von nahenden Ereignissen sprachen, die ein normaler Mensch bestenfalls erahnen konnte. Popi war nicht sehr gebildet und hatte bestenfalls eine vage Vorstellung von »Fernsehen«, »Zeitlesen« und »-formen« sowie von all den anderen Ausprägungen der Sirilimkünste, die meistens vereinfachend unter dem Begriff »Durchdringung« zusammengefasst wurden. Daher konnte er auch immer wieder verblüfft sein, wenn die Vorhersagen der Könige mit schöner Regelmäßigkeit eintrafen.
Schon drang ein Klappern aus dem Haus der Verwahrung. Es wurde rasch lauter, bis sich das rasselnde Geräusch auf die Tür übertrug und diese endlich aufgerissen wurde.
Ein Mann in der Rüstung der Stadtwache blickte den Besuchern unwirsch entgegen. Er war bärtig, stämmig gebaut, an die fünfzig Jahre alt und augenscheinlich schlecht gelaunt. Dass er den Besucher sofort wiedererkannte, verriet er durch eine dementsprechende Äußerung, die allerdings mehr nach einem Grunzlaut klang.
»Fingard.«
Twikus notierte im Geiste, bei nächster Gelegenheit unbedingt einen Erlass zur Verbesserung der Umgangsformen öffentlich bestellter Repräsentanten seines Reiches herauszugeben.
»Hauptmann Grotebrecht, der Oberste des Hauses der Verwahrung höchstpersönlich«, erwiderte Fingard freundlich. »Ihr werdet nicht glauben, wen ich Euch mitgebracht…«
»Ich habe andere Sorgen«, grunzte Grotebrecht dazwischen.
»Ihr solltet Euch mäßigen. Vor Euch steht kein Geringerer als Euer oberster Dienstherr.«
Der Hauptmann spähte zu den vermummten Gestalten und grunzte einmal mehr. »Das glaube ich kaum. Der Statthalter von Bjondal liegt mit Fieber im Bett.«
»Ich meinte eigentlich einen noch Höheren…«
»Was denn, Fingard? Hast du mir etwa den Waffenmeister Seiner Majestät mitgebracht?« Die Äußerung klang nicht so sehr nach einer Frage, die einer Antwort bedurfte. Schon eher nach Spott.
Falgon gesellte sich an die Seite von Múrias Boten und nahm seinen Gesichtsschutz ab. »Ihr habt es erraten, Hauptmann Grotebrecht.«
Dem Vorsteher des Verwahrungshauses wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht.
»Und Euren König werdet Ihr sicher auch wiedererkennen«, fügte der Waffenmeister mit einer entsprechenden Geste hinzu. Auch Twikus entledigte sich seiner Maske und stieg vom Kutschbock herab.
Offenkundig wurden Grotebrecht die Knie weich. Er schrumpfte um einige Zoll zusammen und musste sich am Türpfosten festklammern. »Bitte habt Erbarmen, Majestät!«, bettelte er.
»Wir sind nicht gekommen, um Euch Manieren beizubringen, obwohl mir das durchaus angebracht erscheint«, entgegnete Twikus in jenem strengen Ton, den er über Wochen eingeübt hatte, um sich bei älteren Untergebenen
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