Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mirad 02 - Der König im König

Titel: Mirad 02 - Der König im König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
eines Menschen, wenngleich sie zusätzlich zum Daumen gleich fünf lange Finger besaßen. Oberarme und Beine wirkten dicht am Leib so kraftvoll wie die Sprungwerkzeuge einer Heuschrecke und zu ihren Enden hin so knöchern wie die Glieder einer Mumie.
    Ob Kaguan männlich oder weiblich war, konnte Ergil nicht erkennen. Vielleicht ist er beides zugleich? Der ganze Körper des Zoforoths war mit Schuppen besetzt, die matt in unterschiedlichen Farben schimmerten, je nachdem, wie das Mondlicht darauf fiel. Einige dieser Hornplättchen waren so groß wie ein Daumennagel, andere dagegen nur kleine Punkte.
    Ein Schauer überlief den König, als er den Kopf des Chamäleonen einer näheren Betrachtung unterzog. Die Form hätte durchaus zu einem Menschenschädel gepasst (er mochte vielleicht etwas schmaler als gewöhnlich sein). Aber das Gesicht – es war dem Fenster unter der Decke zugewandt – übertraf alles, was Ergil sich aufgrund der vernommenen Schilderungen hatte vorstellen können. Es war in einem Augenblick glatt wie ein nach außen gewölbter Kesselboden, im nächsten bildeten die Schuppen kleine zittrige Wellen, gleich darauf formten sie sich zu klaren Konturen aus, mal in Gestalt einer Hundeschnauze, dann zu einem Antlitz, das dem von Hauptmann Grotebrecht verblüffend ähnlich sah, und kaum einen Atemzug später zerfiel die Maske wieder und glich der geschliffenen Oberfläche eines irisierenden Edelsteins.
    Er zerbricht sich den Kopf, wie er aus dem Kerker fliehen kann, vermutete Ergil, wobei er an sein eigenes Mienenspiel dachte, dessen Lebhaftigkeit ihm schon manchen Spott eingetragen hatte. Sofort stiegen in ihm eine Reihe von Fragen auf: Wie schaffte es dieses Wesen, zu sehen und zu sprechen? Es besaß weder Augen noch einen Mund. Oder formte es solche Sinnesorgane nur aus seinen Schuppen, wenn es sie benötigte?
    Ergil ließ seinen Geist näher an den Zoforoth heranschleichen. Er umrundete ihn und stieg einige Fuß weit in die Höhe, um den haarlosen Kopf direkt von vorne untersuchen zu können. Immer noch schien der Zoforoth – womit auch immer – zum Vollmond emporzublicken. Das Licht spiegelte sich auf seinem glatten Gesicht.
    Ergil rückte noch dichter heran, weil ihn die fast nahtlose Verbindung der Schuppen faszinierte. Keine Wellen, kein Zittern störte jetzt ihre dicht gefügte Ordnung.
    Und plötzlich sah er auf der spiegelnden Fläche sein eigenes Gesicht.
    Blankes Entsetzen packte ihn. Rasch zog er sich zurück.
    »Was hast du gesehen?«, flüsterte Múria.
    Er musste zusammengefahren sein. Oder gezittert haben. Vielleicht hatte er auch ihre Finger zusammengequetscht. Ergil wusste es nicht. Seine Brust pumpte wie ein Blasebalg. Sein Herz raste. »Mich«, stammelte er.
    Das kommt davon, dass du überall deine Nase reinstecken musst, keuchte Twikus im Hintergrund. Ergil konnte seiner Gedankenstimme anhören, wie sehr auch er sich erschrocken hatte.
    »Beruhige dich«, sagte Múria in beschwörendem Ton. »Wir sprechen später darüber. Jetzt musst du dem Zoforoth folgen.«
    Es kostete Ergil und Twikus einiges an Überwindung, sich abermals in die Falten von Zeit und Raum hinauszuwagen. Mit der Unterstützung von Nisrah und Múria gelangten sie erneut an den Punkt, wo der Chamäleone seinen Umhang fallen gelassen hatte. Jetzt aber blieben die Brüder auf Abstand.
    Wieder verharrte die schillernde Gestalt reglos in dem fahlen Licht, das durchs Fenster fiel. Ihr Mantel lag neben dem Zelleneingang. Mit einem Mal – war es derselbe Moment, in dem Ergil zuvor sein Spiegelbild auf dem Antlitz des Zoforoths gesehen hatte? – sprang Kaguan an die Decke. Wie ein Gecko lief er daran mit allen sechs Beinen entlang und verharrte dann kopfunter über der Tür. Einen Herzschlag später wurde er unsichtbar.
    Hast du das eben gesehen?, stieß Twikus hervor.
    Ergil unterdrückte einen Schauder. Jetzt weißt du, warum man die Zoforoth Chamäleonen nennt.
    Du meinst, er klebt immer noch an der Decke?
    Ich bin mir ziemlich sicher. Lass dich nicht von Licht und Schatten narren. Kaguan kann vielleicht ein paar nette Kunststücke mit seinen Schuppen anstellen, aber bestimmt nicht verhindern, dass die Falten der Welt sich unter seiner Gegenwart verändern. An ihnen müssen wir uns entlangtasten, dann werden wir den Chamäleonen wiedersehen.
    Und genau so war es. Als Ergil seinen Geist tiefer in das Gewebe Mirads eindringen ließ, wurde der Zoforoth erneut als grünlicher Schemen über der Tür erkennbar.
    Inzwischen

Weitere Kostenlose Bücher