Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mirad 03 - Das Wasser von Silmao

Titel: Mirad 03 - Das Wasser von Silmao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
erstarrte Welt wie diese gesehen. So wie dort, wo die Sirilim ihre Flotte versteckt hatten, stand auch hier die Zeit beinahe still. Dadurch wurden alle natürlichen Prozesse aufgehalten: der Verfall, das Altern und sogar das Sterben.
    Ja, die Königin von Soodland rang mit dem Tod, seit gut zwölf Jahren schon.
    Ergil fühlte sich elend. Mit einem Mal schien keine Kraft mehr in ihm zu sein. Zeit, sich zurückzuziehen, dachte er. Vielleicht hatte Múria einen Rat für ihn. Oder zumindest ein Wort des Trostes. Er schickte sich an, Bethgan, das »Haus des Gartens«, zu verlassen.
    Als er einen letzten Blick auf seine Mutter warf, bemerkte er in ihrer rechten Hand ein Glitzern. Sofort vergaß er seinen Rückzug und sah genauer hin. Ja, sie umklammerte tatsächlich einen Gegenstand, der fast völlig von den Falten ihres Kleides verdeckt war, weshalb er ihn zuvor aus der Höhe nicht hatte entdecken können. Im Geiste schwebte Ergil näher an das Funkeln heran – bis er es deutlich erkennen konnte.
    Sie hielt den geschliffenen Kristallbecher fest, in dem sich das Gift befunden hatte!
    Warum hatte sie ausgerechnet den Kelch in die Zwischenwelt mitgenommen? Lag die Antwort womöglich auf dem Grund desselben? Ergil konnte diesen nicht sehen, weil Vanias Hand, das silbrige Gewebe ihres Kleides und das dicke Glas ihm im Wege waren. Schnell durchdrang er von oben den duftigen Stoff. Und dann geriet sein Bewusstsein ins Taumeln.
    Am Boden des Trinkgefäßes befand sich eine blaugrüne Flüssigkeit.
    … bis du das Gegengift besorgt hast …
    Jetzt erst verstand er die Worte im Brief seiner Mutter richtig. Nach Múrias Überzeugung hatte Wikander der Königin Gapagift verabreicht. Vania hatte wohl gerade genug davon getrunken, um Wikander mit ihrem Zusammenbruch zu überzeugen, und zugleich einen ausreichend großen Rest im Kelch gelassen, um einer erfahrenen Heilerin wie Múria die Untersuchung des Giftes und die Beschaffung eines Gegenmittels zu ermöglichen.
    Ergils nächster Gedanke leuchtete klar wie mit flammender Tinte geschrieben in seinem Geist: Ich muss den Kelch mitnehmen! Schon umfasste er mit großer Behutsamkeit das durchscheinende Gefäß. Wenn er zu viel des Guten tat, würde er seiner Mutter die Hand ausreißen, war er zu zaghaft, konnte das Gift womöglich verschüttet werden. Nachdem er seinen Willen wie eine Faust um den Gegenstand geschlossen hatte, fiel ihm wieder der Brief ein. Es konnte nicht schaden, ihn ebenfalls mitzunehmen. Mit beiden Beutestücken zog sich Ergil rasch aus der Zwischenwelt zurück.
    Das Knistern des Kaminfeuers drang an sein Ohr. Er spürte dessen Wärme und zugleich überfiel ihn eine große Müdigkeit. Seine Lider flackerten, als er die Augen aufschlug. Er zuckte zusammen, denn unmittelbar vor seiner Nase befand sich ein pickeliges schmales Gesicht, das ihn eingehend musterte. Es gehörte Popi und sah ziemlich besorgt aus.
     
     
    »Und du meinst allen Ernstes, ich sei drei geschlagene Stunden im Knochenpalast gewesen? Es kam mir viel kürzer vor.« Ergil schüttelte ungläubig den Kopf. Er hätte schwören können, seine Gedanken purzelten immer noch wie Würfel durcheinander.
    Popi breitete die Hände aus. »So war es aber. Ich kam ungefähr eine Stunde nach dir hierher, kurz bevor dein Zittern anfing und du durchsichtig wurdest. Das hörte dann zwar wieder auf, aber ich habe dir und der Dame Múria dann noch mindestens zwei geschlagene Stunden zugesehen.«
    »Mit deiner Nase dicht vor der meinen.«
    »Nein. Zwischendurch habe ich mich in dem Sessel da ausgeruht.« Der junge Ritter deutete auf das Sitzmöbel gegenüber der Bank.
    Während die beiden miteinander sprachen, hatte sich Múria dem Studium von Vanias Brief gewidmet. Sie musste ihn inzwischen schon mindestens zehnmal gelesen haben. Jetzt murmelte sie, ohne von dem Pergament aufzublicken: »Hier steht, dass du in einer Falte warst, in der die Zeit nur so träge wie ein Gletscher dahinfließt. Zum Glück bist du nicht ganz hinübergegangen. Dann wärst du womöglich erst in ein paar Jahrhunderten wieder aufgetaucht.«
    Ergil deutete fahrig auf das Pergament. »Was hältst du davon?«
    »Ruhig Blut, junger Mann!«
    »Du hast gut reden. Es ist ja nicht deine Mutter, die im Sterben liegt.«
    »Aber meine beste Freundin.«
    Er schluckte nur.
    Sie streckte die Hand nach dem Kristallkelch aus. »Darf ich?«
    Ergil gab ihn ihr.
    Múria hielt das Trinkgefäß schräg vor das Kaminfeuer und blickte durch den sirupartigen Inhalt.

Weitere Kostenlose Bücher