Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
sehr gereizt. Tja, jetzt bin ich wieder in einer Situation, eine Entscheidung treffen zu müssen. Ich habe erfahren, dass das FRiZ-Magazin wohl zum Jahresende eingestellt wird. Es steht noch nicht fest, ob wir alle entlassen werden oder wie es überhaupt weitergeht. Bisher sind nur Gerüchte im Umlauf, aber sehr konkrete Gerüchte! Ich denke, dass wir bald vor vollendete Tatsachen gestellt werden.“
„Du meine Güte. Da haben Sie aber wirklich viel zu bewältigen, Melissa. Ich hoffe, der Einblick in ihre Karten wird Ihnen behilflich sein. Das Magazin werde ich auf jeden Fall vermissen, ich habe es immer gerne gelesen. Leider muss ich jetzt unsere Sitzung beenden. Ich habe einen weiteren Termin vergeben für diesen Nachmittag.“
„Natürlich. Ich bin sofort weg.“ Ich fütterte das Sparschwein mit einem 50 € Schein, steckte mein Aufnahmegerät ein und stand auf.
„Für den Fall, dass Ihre Mutter „unter Tage geraten sollte“, sie wissen was ich meine, dann sagen Sie mir bitte Bescheid, ich habe da noch etwas, was ihr weiterhelfen könnte, falls sie Hilfe wünscht. Es ist ein kleines Büchlein.“
Wir verabschiedeten uns mit dem Versprechen, in Kontakt zu bleiben. Nachdenklich fuhr ich nach Hause. In der Wohnung, die ich noch für kurze Zeit bewohnte, betrachtete ich erfreut das Ergebnis meines kleinen Kaufrausches. Insgesamt war ich mit dem Tag doch recht zufrieden. Ich schnitt die Preise von meiner neuen Kleidung ab und steckte sie gleich in die Waschmaschine. Als ich die Nougat-Schachteln aus der Einkaufstüte nahm und die leere entsorgen wollte, entdeckte ich in ihr einen Zettel mit einer Handynummer. Er war unterschrieben mit einem schwungvollen „V. M.“
Ich lächelte und dachte: Valerius Mergenthaler klingt doch stimmig. Ich speicherte die Nummer unter „Val. M.“ ab und fragte mich, ob ich den Mut haben würde, ihn anzurufen. Warum hatte er mir seine Nummer zugesteckt? Ob er ein Auge auf mich geworfen hatte? Der Gedanke war mir angenehm, merkte ich. Es kribbelte so schön in meinen Adern!
Jetzt, wo es Mutter wieder gut ging und ich abends genug Muße und Ruhe fand, nahm ich Miras Buch wieder zur Hand und las weiter. Ich erfuhr, dass eines Morgens, als Frau Mertens ihm noch vor der Schule schnell die Haare schnitt, sie bemerkte, dass eine der Pupillen größer war als die andere. Da sie als junge Frau eine Arzthelferinnenausbildung gemacht hatte, wusste sie, dass dies ein ernst zunehmendes neurologisches Symptom war. Am nächsten Tag schon konnten sie beim Neurologen vorstellig werden.
Die Diagnose war niederschmetternd! Martin hatte einen Hirntumor in der Pinealisregion. Dieser hatte auch den übergroßen Hunger verursacht. Die Erkrankung nahm schnell einen dramatischen Verlauf, weil der Abfluss des Hirnwassers gestört war und der Druck aufs Hirn immer mehr zunahm. Daher wurde der Junge noch am Wochenende notoperiert und ein „Shunt“ gelegt. Erst 14 Tage später hatte er sich soweit erholt, dass der Tumor operativ entfernt werden konnte. Die feingewebliche Untersuchung ergab ein „gutartiges Teratom“, und nach insgesamt vier Wochen wurde er mit guter Prognose und Nachsorgeterminen nach Hause entlassen.
Aber der Schein trog, wie Frau Mertens schrieb:
Ab Januar durfte Martin wieder zu Schule. Den Herbst über sollte er zuhause ruhen. Der nächste Arztbesuch sollte im Februar gemacht werden. Der Herbst ging, der Winter kam, und mit ihm kam eine Veränderung in Martins Wohlbefinden. Dann und wann "drückte" wieder der Kopf, er mochte sich nicht hinlegen und er wurde wieder ängstlich. Ich holte mir telefonisch Rat in der neurologischen Praxis. Die Helferin meinte, es könne auch Wetterfühligkeit sein, nach so einer OP wären gelegentliche Beschwerden nicht ungewöhnlich. Der Doktor sei leider über Wochen ausgebucht und ohne eindeutige neurologische Symptome könne sie mir auch keinen Termin geben. Ich ließ mich von ihr abwimmeln, in der Hoffnung, mein ungutes Gefühl möge unbegründet sein und ich behielt Martin wachsam im Auge. Er selber wollte auch lieber bald wieder zur Schule gehen.
Ich ahnte schon, was nun kam. Kurz darauf brach er zusammen und wurde als Notfall in die Neurologische Fachklinik gebracht.
Die Untersuchung zeigte, was eigentlich extrem unwahrscheinlich gewesen war: Ein neuer Tumor hatte sich gebildet, sehr viel größer als der erste. Und da er so unglaublich schnell gewachsen war, konnte es sich nur um einen bösartigen Tumor handeln.
Bösartig!
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