Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
zum abgemähten Feld und meinen geschundenen Kraftreserven.
Hast du verstanden, was das Getreidebild dir sagen wollte?
Ich nahm die sanfte Stimme des Engels in mir wahr und atmete tief und seufzend. Leise antwortete ich: „Ja. Ich habe verstanden. Ohne Rücksicht auf meine eigene Kraft gab und gab ich, bis ich ganz leer war und nicht mehr für mich selber sorgen konnte. Darum bin ich damals für ein paar Wochen in die Psychiatrie gekommen, ich weiß. Dort habe ich in der ersten Zeit bis zu 14 Stunden am Stück geschlafen. Ich war erschöpft bis ins Mark. Und auch in den Jahren danach habe ich meiner nachwachsenden Kraft nie genug Zeit bis zur Ernte gegeben, habe sie zu früh geschnitten wie unreifes Getreide. Darum war mein Brot so bitter.“
Wortlos und traurig bückte ich mich und hob meinen nächsten Stein der Erkenntnis auf. Auf der Landkarte verschwand das Feld und wurde durch das Bild eines Steines ersetzt. Die Truhe füllte sich langsam.
Der Engel sagte nun:
Komm, lass uns ein wenig spazieren gehen, ohne die Karte zu nehmen. Ich will dir etwas Schönes zeigen. Will dir deine Seelenschönheit zeigen!
Sobald ich den ersten Schritt machte, wandelte sich die Wiese in einen großen, traumhaften Garten. Er war üppig und bunt und die zahlreichen Blumen strahlten vor lauter Lebensfreude. Blühende Büsche sah ich ebenso wie fruchttragende Sträucher. Hier schien es gleichzeitig jede gute Gartenjahreszeit zu geben. Überall flatterten Schmetterlinge und Kolibris über den Blüten, nektarsaugend und es raschelte im Gehölz. War es ein Igel? Ich folgte dem Geräusch und wurde gleich abgelenkt von einem anderen, sprudelnden Ton. Oh, es war ein Springbrunnen! Ich liebe Springbrunnen! Und dort war eine große Hängematte zwischen zwei Bäumen. Im Baum neben mir gab ein Windspiel glockenklare Töne von sich, so melodisch sang es sein eigenes Lied, dass selbst die Blätter zu lauschen schienen.
Ich ging weiter hinein in den Garten, konnte mich nicht satt sehen an dieser Augenweide. Es war, als hätten hier alle meine Wünsche Gestalt angenommen, die ich jemals im Erdenleben hatte in Bezug auf meine Gartenvorlieben. Daher wunderte es mich auch nicht, dass der Bauerngarten fast nahtlos überging in einen Garten im japanischen Stil, der tiefe Ruhe und unendliche Würde ausstrahlte. Ich setzte mich ergriffen auf einen großen Stein, der in einem weißen Kiesbett seinen ewigen Platz hatte. Alles war so harmonisch, obwohl die Stile so unterschiedlich waren wie Tag und Nacht. Ich war nicht überrascht, als ich noch eine wildromantische Ecke entdeckte, geradezu ein verwunschener Zaubergarten am Waldrand mit lebenden Wichteln und lustigen kleinen Trollen und Feen. Ich schlug die Hände vors Gesicht und lachte verschämt. Was bin ich doch für ein Kindskopf, dass all diese Geschöpfe in mir wohnen, dachte ich! Und dort hinten erst – dieses herrliche Kürbisfeld und all die Sonnenblumen. Je mehr ich mich konzentrierte umso, mehr konnte ich die Fülle der Schöpfung wahrnehmen und all diese Schönheit, die ihr innewohnte.
Ach lass nur, das Innere Kind im Menschen will auch seinen Spaß haben! Genieße doch deine Fantasie, deine heimliche Verspieltheit. Liebe deine Feen und Wichtel und spiele mit ihnen. Dein irdisches Leben ist ernst genug.
Ich spürte mehr, als dass ich es sah, dass mein Engel sich jetzt mit dem Kleinen Volk im Spiel über die Erde kullerte, mitten durch ein duftendes Erdbeerfeld. Und ich lachte befreit auf und weinte zugleich vor lauter Glück. Ich war hier zuhause, so sehr zuhause! Hier war ich ICH, nur ICH und so frei. Wie sehr ich diesen Garten liebte und mich in seiner Schönheit verlor! Ich war Teil dieser Schönheit! Ich konnte nicht länger still sitzen. Ich sprang auf und wollte tanzen. Ja, ich tanzte trunken vor Glück zu einer Musik, die aus mir selber kam, drehte mich im Kreis mit erhobenen Armen und Funken der Freude sprühten aus meinen Augen, aus meinen Fingerspitzen. Ich drehte mich immer schneller und schneller, bis ich mich fühlte wie eine rotierende Säule aus reiner Energie und war eins mit diesem Paradies. Für einen Moment berührte ich die Ewigkeit Gottes.
Dann wurde es still und dunkel um mich. Als ich wieder die Umgebung wahrnehmen konnte, sah ich meinen Engel, die Truhe und die Landkarte aus Pergament. Ich lehnte mich mit meinem Rücken an den Baum und wurde still und ruhig. Mein Engel schwieg gemeinsam mit mir. Verändert war ich nun. Auf eine Weise, die ich nicht in Worte fassen
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