Mischpoche
mehr verspielen konnte.
Doch wie oft hatte er, Bronstein, schon feststellen müssen, dass just die unwahrscheinlichste aller Varianten letztlich die zutreffende gewesen war. Bei einem Fußballspiel kam man nicht mit Logik weiter. Hier führte aus Prinzip Kommissar Zufall Regie, und wenn es dem einfiel, den WAF laufen zu lassen, dann kam der Sportclub unschuldig zum Handkuss. Wieder einmal!
Es war doch stets dieselbe Geschichte. Da mühte man sich ab, versuchte, etwas Dauerhaftes zu schaffen, und scheiterte dann doch an den Unbilden des unerbittlichen Schicksals.
»Halt! Genug! Bronstein, das ist Defätismus!« Bronstein gebot sich selbst Einhalt und trank in kräftigen Schlucken den Gerstensaft. »Ab sofort hast du Denkverbot bis zum Schlusspfiff. Wäre ja noch schöner, wenn wir hier herumwimmern wie eine alte Memme. Noch ist Polen nicht verloren, und was du vom Powolny verlangst, dass musst du auch von dir selbst verlangen. Also beiß die Zähne zusammen und setz dich wieder hin!«
Es schien, als hätte sich Powolny Bronsteins Aufmunterungen doch zu Herzen genommen, denn gleich nach Wiederbeginn trug er einen wunderschönen Angriff vor, den Saft nur unter Aufbietung aller Kräfte in den Corner abwehren konnte. Powolny trat die Ecke selbst, Giebisch hielt den Kopf hin, während Saft in die falsche Ecke flog. Bronstein riss gleich seinen Nebenleuten die Arme hoch und wollte schon Tor rufen, als es einem Verteidiger noch irgendwie gelang, seinen Körper zwischen Ball und Tor zu werfen. Abermals landete der Ball im Tor-Out.
»Elfer! Das war doch ganz klar ein Elfer!« Bronstein war aufgesprungen und weigerte sich, sich wieder zu setzen. Hilfesuchend sah er sich unter den anderen Zuschauern um, die ihn zwar mit mitleidvollen Mienen bedachten, seine Einschätzung der Lage aber dennoch nicht zu teilen gewillt waren. Bronstein knirschte mit den Zähnen, dann nahm er doch wieder Platz und gleich danach einen weiteren kräftigen Schluck. Noch 40 Minuten bis zum Schlusspfiff.
Die nächste halbe Stunde fühlte sich Bronstein wie am Marterpfahl. Powolny, Kanhäuser und Giebisch vergaben die besten Chancen, und eine Viertelstunde vor Schluss stand es immer noch 1:0. Doch dieses Resultat stärkte nicht den Sportclub, es stärkte den Gegner, der wie Bronstein erkannte, dass sich die Dornbacher müde gelaufen hatten. Und wieder landete ein Freistoß in den Reihen des Gegners.
Bronstein wusste nicht mehr, was er zuerst machen sollte. Das Bier war bereits in seinem Schlund verschwunden, die Zigarettenschachtel lag achtlos, weil leer, auf den Stufen zum obersten Rang, und die Taschenuhr glühte bereits ob der krampfartigen Weise, in der sie in Bronsteins Hand gefangen war. Fünf Minuten noch.
Bronstein wandte sich an seinen Nachbarn: »Tschuldigung, der Herr, aber haben Sie vielleicht noch eine Zigarette für mich?«
Der Zuschauer war viel zu aufgeregt, um Zeit für eine Debatte zu haben. Fast in Panik riss er seine Schachtel hervor und warf sie in eine Richtung, in welcher er den Fragenden vage vermutete. Bronstein machte Kanhäuser und Saft alle Ehre, als er nach vorne hechtete, um die Schachtel zu arretieren. Und am Spielfeld baute der WAF einen neuen Angriff auf.
Aus dem Nichts kam eine weite Flanke zu Fischera. Der hangelte sich in den Dornbacher Strafraum durch und zog unerwartet ab. Bronstein stockte der Atem. Der Ball …, der war … tatsächlich drinnen gewesen.
Die Anhänger des WAF und jene der Hakoah, die gekommen waren, um die Floridsdorfer nach Möglichkeit zu unterstützen, da nur deren Sieg ihrer eigenen Mannschaft noch eine Chance auf den Titel ließ, fielen sich jubelnd in die Arme, während auf der Tribüne der Dornbacher kollektives Wehklagen ausbrach.
Nun aber machte Bronstein Mode. Gleich ihm zückten Tausende Parteigänger des Sportclubs ihre Uhren, die nun in fiebernden Händen zitterten, da es ja an einer einzigen Aktion, einer Sekunde, hing, ob der Sportclub endlich einmal eine Meisterschaft errang, oder ob er wieder einmal scheiterte. Und die Nervosität der Anhänger übertrug sich gleichsam auf die Spieler, die nun Fehler auf Fehler häuften. Fast schien es, als wären sie der Verantwortung, die in diesem Moment auf ihren Schultern ruhte, nicht gewachsen. Im letzten Augenblick drohte der Täter zu entkommen, … also der Meistertitel zu entschwinden. Die Hernalser verlegten sich auf destruktive Defensive, verzweifelt bemüht, bloß keinen Fehler mehr zu machen. Drei Minuten vor Schluss
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