Mischpoche
Fiala, der verlängerte auf Kreuzer, und blitzschnell waren die Floridsdorfer vor das Hernalser Tor gekommen. Aber da war zum Glück Scheidl, der Klein, dem gegnerischen Half, elegant die Kugel von den Füssen spitzelte. Ein schneller Pass nach rechts auf Hans Kanhäuser, und der zog ohne zu zögern ab. Damit hatte Saft nicht gerechnet. Der hatte auf ein weiteres Zuspiel gewartet und stand ergo in der falschen Ecke. Fünfte Minute, und der Sportclub führte mit 1:0.
Bronstein atmete auf. Doch gleich darauf wurde er wieder nervös. War die Mannschaft nicht auch gegen Rapid in Führung gegangen, ehe man dann noch fünf Bummerl kassiert hatte? Er unterdrückte ein Zittern, blickte nach rechts auf das Kleeblatt, das sich an einem Biere gütlich tat. Gegen ein ordentliches Krügel hätte er auch nichts einzuwenden gehabt. Doch er wagte nicht, sich von seinem Sitz zu erheben, fürchtete sich davor, eventuell eine entscheidende Spielszene zu versäumen. Also litt er Durst und starrte weiter unverwandt auf den grünen Rasen. Dort konterte nun wieder der Gegner. Der Ball bewegte sich unerbittlich Richtung Dornbacher Strafraum. Von halblinks kam eine Flanke des gegnerischen Flügelstürmers Bachmayer direkt auf den Elfmeterpunkt, auf den sein Mannschaftskamerad Fischera in vollem Lauf zueilte. Er erwischte das Ledervolley, und sein Schuss strich nur um die berühmte Haaresbreite am Pfosten vorbei.
Bronstein, der sich an die linke Brust gegriffen und nicht zu atmen gewagt hatte, sackte in sich zusammen. Ein nächtelanges Verhör mit dem härtesten Strizzi von Wien war die reinste Erholung gegen solche Momente!
Er hatte gerade wieder Luft geschöpft, als Klein, der gegnerische Verbinder, gleichfalls das Dornbacher Tor nur um Zentimeter verfehlte. Kaum hatte der Sportclub-Goalie den Ball wieder ins Spiel gebracht, als er bereits wieder in den Reihen des WAF landete. Schon war Edi Kanhäuser geschlagen – und Bronstein nahezu bewusstlos –, als der Pfiff des Schiedsrichters Mannschaft und Anhänger erlöste. Der Unparteiische entschied auf Offside.
»Warum befreien die sich nicht?«, murmelte Bronstein halblaut, um sich sogleich laut klatschend auf den Schenkel zu schlagen, da Powolny eine Entlastungschance leichtfertig vergeben hatte. Die Nummer 3 der Floridsdorfer – Bronstein hatte den Namen des Mannes vergessen – flankte weit in den Dornbacher Strafraum, aus dem Beer und Scheidl mit affenartiger Geschwindigkeit heraussprinteten. Der Pfiff war unausweichlich. Wieder Abseits.
Bronstein starrte auf die Matchuhr. Unglaublich. Es konnten doch nicht erst 20 Minuten vergangen sein, seit das Spiel begonnen hatte. Vielleicht sah er den Zeiger auch nicht richtig, denn durch die schwarzen Wolken am Himmel wirkte Simmering, als hätte sich bereits die Nacht über den Stadtteil gesenkt.
»Hoppauf!«, schrie Bronstein nun verzweifelt, um seiner Nervosität irgendwie Herr zu werden. Mit zittrigen Fingern erhaschte er eine Zigarette, die ihm jedoch sogleich aus den Händen fiel und in seinem Schoß landete, von wo er sie vorsichtig hochhob, um sie dann, endlich in den Mund befördert, umständlich anzuzünden.
Was war bloß mit Powolny los! Schon wieder ließ er eine hervorragende Möglichkeit zu scoren einfach aus. Gut, es hatte ja geheißen, er sei noch ein wenig angeschlagen, aber durfte derlei in einem solchen Entscheidungsspiel zählen? Nein! Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Da hieß es, Zähne zusammenbeißen und stürmen. »Zieh an, Toni! Hoppauf, gemma!«
Doch Toni war nicht in der Stimmung. Und es schien, als steckte er seine Sturmkollegen mit seiner müden Vorstellung an. Wenigstens gelang es dem WAF nicht, aus der Schwäche Dornbachs Kapital zu schlagen, und so wogte das Spiel unentschieden im Mittelfeld hin und her. Zwei Zigaretten später erlöste der Pausenpfiff Spieler und Publikum von erschöpfender Kärrnerarbeit.
Endlich konnte es Bronstein riskieren, sich zum Getränkestand zu begeben. Er ließ sich sicherheitshalber gleich zwei halbe Bier geben, damit er in der zweiten Halbzeit nicht erneut darben musste. Dann mischte er sich unter das übrige Publikum und lauschte ihren Kommentaren.
Eigentlich, so dachte er nach einer Weile, war ein Fußballspiel auch nichts anderes als ein Kriminalfall. In Unkenntnis des genauen Sachverhalts musste man sich in Mutmaßungen ergehen. Dabei hielt man sich zunächst einmal an die Regeln der Wahrscheinlichkeit. Und diese besagten, dass der Sportclub eigentlich den Titel nicht
Weitere Kostenlose Bücher