Miss Daisy Und Der Tote Auf Dem Wasser
Barkasse steuerte in rascher Fahrt auf die Mitte des Flusses zu, um dem Verkehr stromabwärts aus dem Weg zu gehen. Meredith sah sie kurz nach Daisy. Sein Warnruf war über das Tuckern der Barkasse zu hören, Rollo und Cherry ruderten zurück.
Lord DeLancey aber zerrte an seinen Rudern mit einer fast wilden Hast. Die Barkasse trötete laut auf, ein Ausweich- manöver in letzter Sekunde – zu spät.
Das Holz des Bootes zersplitterte beim Zusammenstoß mit der Barkasse. Der schräg verlaufende Aufprall schleuderte DeLancey in den Fluß.
Er schwamm stromabwärts von der Barkasse fort, in einer langen Tangente, um das Ufer von Buckinghamshire zu er- reichen. Die starke Strömung zerrte förmlich alles zur Schleuse. Meredith, Cherry, Rollo, die Männer auf der Bar- kasse – alles brüllte DeLancey zu. Er hörte sie nicht oder ach- tete nicht auf sie, jedenfalls machte er keine Anstalten, direkt ans Ufer zu schwimmen.
Aus der Entfernung, von der Treppe über dem Garten aus, wirkte das rasch dahinfließende Wasser so glatt wie Glas. Doch unter seiner glänzenden Oberfläche waren wirbelnde Unterströmungen verborgen. DeLanceys dunkler Schopf hüpfte darauf wie ein Angelkork auf und ab und versank dann in den Fluten.
»Ertrunken«, bestätigte Alec erschöpft und ließ sich neben Daisy auf das Gras im Schatten der Kastanie fallen. Man hörte auf zu kauen oder in den Tassen herumzurühren.
Alles schwieg. Nur ein Reiher, der gemächlich den Fluß entlangflog, gab ein lautes Krächzen von sich. Irgendwo ging ein nervöses Kichern rasch zu einem Husten über, wodurch der Bann gebrochen war. Wohlerzogene Stimmen murmelten Höflichkeiten, und Porzellantassen klapperten auf Unter- tassen.
»Einen Tee, Mr. Fletcher?«
»Bitte, Lady Cheringham. Und ein Sandwich oder zwei, wenn ich darf. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich weder ein Frühstück noch ein Mittagessen gesehen.«
Daisy sprang auf und stapelte auf einem Teller Gur- kensandwiches, Sandwiches mit Kresse und mit Gentleman’s Relish und darauf wiederum zwei Scones mit Butter. »Du hast Glück, mein Liebling«, sagte sie und reichte ihn Alec. »Die Köchin bereitet immer noch Mahlzeiten zu, die eigentlich am Appetit von jungen Ruderern ausgerichtet sind.«
»Ach, da fällt mir doch etwas ein.« Der erste Scone blieb auf halbem Wege zu seinem Mund in der Luft hängen, und er erhob die Stimme: »Gentlemen, Sie sind selbstverständlich jetzt entlassen, wenn Sie abreisen möchten. Aber es sei Ihnen allen gedankt. Sie waren die hilfsbereiteste und tatkräftigste Gruppe von Tatverdächtigen, die ich jemals die Freude hatte nicht festnehmen zu müssen.«
Alles lachte. Daisy vermutete, daß sich bei den vier jungen Männern die aufregende Geschichte der Tragödien der ver- gangenen Tage bereits zu einer großartigen Anekdote ver- dichtete, die in Zukunft erzählt und wiedererzählt werden würde.
Anscheinend befürchtete das auch Alec, denn er fügte hinzu: »Ich zähle auf Sie, daß Sie diese Angelegenheit fürs er- ste vertraulich behandeln. Diese Untersuchung ist noch nicht gänzlich abgeschlossen, und ich möchte vermeiden, daß un- schuldigen Menschen durch Gerüchte geschadet wird.«
Es gab enttäuschtes, aber doch zustimmendes Murmeln.
»Weiß Fosdyke, daß er abreisen kann?« fragte Daisy Alec.
»Ich hab Tom gebeten, im Catherine Wheel anzurufen, be- vor er sich mit Gladstone zum Tee setzt. Mir wurde berichtet, er hätte im Krankenhaus gefrühstückt …«
»Ja, man hat uns etwas gebracht, obwohl ich die Küche nicht empfehlen kann. Weißt du, wie es Bott geht?«
»Ich bin vorbeigefahren und habe ihm erzählt, was gesche- hen ist und daß er nicht mehr als Tatverdächtiger gilt. Er hat noch etwas Fieber. Die behalten ihn über Nacht noch da, aber der Arzt scheint das nur als Vorsichtsmaßnahme zu betrach- ten. Er ist zu durchtrainiert, um gleich einen Infekt zu be- kommen. Miss Hopgood freut sich, daß sie heute abend schon zurückfahren kann. Dann muß sie keinen Urlaubstag nehmen.«
»Sehr schön. Was ist mit dir?«
»Ich hab hier noch ein paar Dinge zu regeln. Dann treffe ich die drei Chief Constables der Region im Polizeirevier von Henley.« Er schaute auf seine Armbanduhr. »In einer halben Stunde. Also laß mich jetzt bitte in Frieden essen, mein Herz.«
»Aber bitte, gerne.«
Leigh und Meredith, Poindexter und Wells verabschiedeten sich gerade von ihrer Gastgeberin, und Daisy gesellte sich dazu, um ihnen auf Wiedersehen zu sagen. Cherry, Rollo und Dottie wollten
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