Miss Daisy Und Der Tote Auf Dem Wasser
und Wells, die alle in gewisser Weise am Sünden- fall des Steuermanns beteiligt waren, wirkten peinlich be- rührt. Sie sagten nichts dazu, doch ließen ihre verstohlenen Blicke auf DeLancey ahnen, daß sie es nicht darauf anlegten, gerade jetzt Zielscheiben für seine bösartigen Bemerkungen abzugeben.
DeLancey – es geschahen noch Zeichen und Wunder – wirkte, als sei auch ihm nicht recht wohl. Hatte er die Sache noch einmal überdacht? Tat es ihm am Ende leid, damit die Chancen des Achters zu gefährden? Vielleicht hatte er gar nicht so weit vorausgeschaut, als er seinen Unfug gestern abend angezettelt hatte.
Die Tür öffnete sich, und Meredith trat ein, gefolgt von Bott. Rollo bildete das Schlußlicht und hielt Bott am Ober- arm – stützend? Bewachend? Vielleicht beides. Bott war grün- lich-blaß im Gesicht und ging wie auf rohen Eiern.
»Du wirst dich gleich wieder besser fühlen, wenn du was gegessen hast«, sagte Rollo herzlich.
Bott stöhnte auf und wurde noch grüner, als die Früh- stücksdüfte in seine Nase stiegen. »Ich kann nicht«, seufzte er schwach und tat einen Schritt rückwärts. »Laßt mich wieder zu Bett gehen, damit ich dort in Frieden sterben kann.«
»Reiß dich zusammen, Alter. In ein paar Stunden haben wir ein Rennen zu bestehen.«
»Das schaff ich nicht, sag ich euch doch.« Er faßte sich mit beiden Händen an den Kopf. »Mir explodiert der Schädel. Ich kann gar nicht geradeaus gucken, vom Steuern ganz zu schweigen.«
Rollos Mund wurde schmal. »Dann werde ich bei der Rennleitung anrufen und fragen, ob die unseren Durchlauf auf heute nachmittag verschieben können. Obwohl der Zeit- plan sehr eng ist. Ich bezweifle, daß die das hinbekommen.«
»Da haben wir’s mal wieder. Der Prolet verrät die Sache«, warf DeLancey verächtlich hin. »Ich hab immer schon gesagt, es ist ein Fehler, ihn als Steuermann einzusetzen. Diese Art von Unkraut, die nicht mal mit Alkohol umgehen kann wie ein Gentleman, hat doch nicht das geringste Verantwortungs- gefühl.«
»Ja doch, verdammt noch mal, das geht in Ordnung! Ich mach das schon. Jetzt laßt mich bloß hier weg!« Bott preßte die Hand vor den Mund und flüchtete.
»Noch einen Schluck vom selben Zeug, das gestern das Unheil angerichtet hat«, schlug Wells vor.
»Aspirin und trockenen Toast«, riet Cherry.
»Versuchen wir’s«, sagte Rollo ernst und warf DeLancey einen wütenden Blick zu. »Ich würde äußerst ungern aus dem Rennen aussteigen.«
»Komm du jetzt mal her und frühstücke«, sagte Cherry. »Ich mach das schon mit ihm.«
Daisy, Tish und Dottie wollten sich an der Ziellinie vom Ren- nen aufstellen und gingen, da sie über den Fluß setzen muß- ten und anschließend noch gute zweieinhalb Kilometer zu laufen hatten, lange vor dem avisierten Start los. Sie ließen die Ruderer auf dem Rasen zurück, wo sich diese mit ruckartigen Bewegungen aufwärmten, beobachtet vom immer noch lei- chenblassen Steuermann, der auf der Terrasse schlaff in einem Liegestuhl hingestreckt lag.
Tish und Dottie ruderten Daisy in einem der Skiffs über den glitzernden Fluß. Daisy umklammerte auf dem Hinter- sitz fest die Leinen und tat ihr Bestes, zu steuern. Als sie vor Urzeiten das letzte Mal in einem Boot gesessen hatte, hatte sie es mit einer hölzernen Ruderpinne gelenkt, was bedeutete, daß man nach links drückte, wenn man nach rechts drehen wollte. Die Erinnerung daran hatte sich ihr eingeprägt und brachte sie jetzt völlig durcheinander, obwohl es eigentlich ganz einfach war: an der rechten Steuerleine ziehen, um nach rechts abzubiegen, linke Steuerleine für linke Kurve.
Glücklicherweise hatten die anderen Skiffs, Beiboote, Bar- kassen, Kanus und Punts ihren Kurs stromaufwärts in Rich- tung Rennstrecke besser unter Kontrolle. Die drei Damen wurden angerufen, ausgelacht und angepfiffen, aber sie schafften es, wenn auch im leichten Zickzack, sicher hinüber zum Ufer von Remenham.
Mit rotem Gesicht wickelte Tish die Vorleine um einen Pfosten. »Auf dem Rückweg wird einfach gar nicht gesteu- ert«, sagte sie streng, »sondern wir machen das mit den Skull- riemen.«
»Bitte!« sagte Daisy und fächerte sich mit dem Hut Luft zu, um ihn dann, eingedenk der drohenden Ernte an neuen Sommersprossen, rasch wieder aufzusetzen. Der Hut war neu und diesmal nicht aus Selfridge’s Bargain Basement. Ihre im- mer so elegante Mitbewohnerin Lucy hatte eine wahre Fund- grube gefunden, eine kleine Putzmacherei in der King’s Road, wo die Preise noch
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