Miss Daisy Und Der Tote Auf Dem Wasser
niedrig waren, weil die Putzmacherin sich eben erst etabliert hatte.
Der Hut aus dunkelblauem Stroh hatte die klassische Glockenform, die sich dann allerdings zu einer breiten Krempe aufschwang, um deren Kante sich Margueriten wan- den. Er paßte perfekt zu Daisys blauem Voilekleid, das mit Margueriten bedruckt war, und sie gefiel sich ausnehmend gut. Mit den grandiosen Hutmodellen, die für das Royal- Ascot-Rennen vor zwei Wochen geschaffen worden waren
– die Damen der Haute volée setzten sie diesmal in Henley noch einmal auf –, wollte sie nicht konkurrieren.
Zudem, fand Daisy, wirkt ein extravaganter Hut alles an- dere als professionell. Sie blickte an ihrem Kleid hinab. Hätte sie ein Schneiderkostüm anziehen sollen? Dazu war es doch viel zu heiß!
Schließlich hatte ihre Kleidung nichts mit ihren Fähigkeiten zu tun, bestärkte sie sich. Ihr Presseausweis vom Regattabüro lag sicher neben dem Notizblock in der Handtasche. Sie fragte sich, ob ihr die Bekanntheit der amerikanischen Zeit- schrift den verschafft hatte oder das »Honourable« vor ihrem Namen, das sich für derlei Vorhaben schon mehr als einmal als nützlich erwiesen hatte.
Sie gingen an sumpfigen Wiesen, mit glänzend gelben Hah- nenfußblüten betupft, auf dem Treidelpfad entlang. Noch waren nur wenige Zuschauer unterwegs. »Das da drüben ist die neue Startlinie«, zeigte Trish, als sie am stromabwärts gelege- nen Rand von Temple Island angekommen waren. »Früher lag die auf der Buckinghamshire-Seite.«
Ungefähr auf der Mitte des Inselufers hatte sich eine kleine Gruppe von Menschen versammelt. Die Barkasse von einem der Stewards, denen die Organisation des Rennens oblag, war bereits dort vor Anker gegangen, doch weder das Boot vom Ambrose College noch das ihrer Gegner vom Marlow Rowing Club war zu sehen.
Als sie an der stromaufwärts gelegenen Inselspitze anka- men, schaute Daisy zurück zum sogenannten Temple, der bis- lang hinter Bäumen verborgen gewesen war. Das kleine Ge- bäude war ein geschlossenes Sommerhäuschen mit offener, von Säulen umgebener Kuppel, davor ein breiter Landesteg, an der Nordseite durch eine Trauerweide geschützt – ein wunderbarer Ort für ein Picknick. Selbstverständlich war das Land Privatbesitz und wahrscheinlich, so nahm Daisy an, ein Teil von Crowswood Place, wo Lord DeLancey übernachtete, drüben an dem Ufer, das zu Buckinghamshire gehörte.
Oder begann hier schon Oxfordshire? Die Adresse der Cheringhams war Buckinghamshire, aber Henley-on-Thames gehörte zu Oxford.
Die Stadt war jetzt hinter der Haupttribüne von Phyllis Court zu sehen. Warmgelbe Ziegelsteine und braun gedeckte Dächer erstreckten sich entlang des Flusses, dominiert vom rechteckigen grauen Turm von St. Mary’s. Die Brücke aus dem achtzehnten Jahrhundert wurde von der Biege im Fluß am Poplar Point verdeckt. Dort, am Berkshire-Ufer, wo man einen Blick auf die Zielgerade hatte, erhoben sich Tribünen und Schirmdächer über den Flußauen wie riesige Pilze.
Noch gut ein Dreiviertelkilometer. Daisy schaute auf die Uhr. Es blieb noch viel Zeit, bis der erste Durchlauf startete.
Hinter dem Remenham Club kamen sie zum Rummelplatz. Die Dampfpfeifenorgel schwieg jetzt. Die Pferde des Karus- sells standen still, die Buden waren zugedeckt. Das Riesenrad, eine stählerne Spinnwebe, deren bunte Gondeln wie exotische Insekten in ihr gefangen hingen, beherrschte den Platz. Ein paar Männer mit verschlafenen Augen, an deren Lippen Ziga- retten klebten, reparierten gelangweilt dieses und jenes.
»Das sieht doch wirklich schrecklich billig aus, wenn die Menschenmenge fehlt, findet ihr nicht?« sagte Tish nervös. »Für die Atmosphäre braucht es wirklich Leute und Ge- schwätz und Musik.«
Ein Kuckuck rief ihnen aus dem Wald vom Remenham Hill einen Gruß zu. Sie lachten alle drei.
Als sie den General Enclosure genannten allgemeinen Pu- blikumsbereich erreichten, präsentierten Dottie und Tish die Gästekarten, die ihnen die Ambrose-College-Mannschaft ge- geben hatte. Daisy zeigte ihren Presseausweis vor und wurde mit den beiden eingelassen.
»Ächz!« rief sie erleichtert aus. »Ich hab noch nie so eine Eintrittskarte gehabt. Die funktioniert ja wirklich!«
»Sesam, öffne dich«, sagte Tish. »Wie wär’s, wenn wir uns in die Ränge stellten? Hast du Cherrys Fernglas mitgebracht, Dottie?«
Dottie öffnete die kleine Tasche, die sie sich über die Schul- ter gehängt hatte, suchte darin herum und holte das Fernglas hervor. »Hier. Verlier
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