Miss Daisy Und Der Tote Auf Dem Wasser
bloß nicht den Schutz fürs Objektiv, sonst bringt er dich um – oder auch mich.«
Sie stiegen hinauf in die Ränge.
Ausschließlich passionierte Rudersport-Enthusiasten hat- ten sich so früh am Morgen eingefunden. Meist waren das Herren im Alter zwischen achtzehn und achtzig, die meisten trugen Käppis und Blazer. Die leuchtenden – um nicht zu sagen schrillen – lachsrosa Farben des Leander-Clubs über- wogen. Dessen Gelände lag etwas weiter das Ufer hinunter, an der Brücke hinter der privaten Stewards’ Enclosure. Daisy lauschte einer leicht mürrischen Unterhaltung und erfuhr, daß der Achter des Leander-Clubs im ersten Durchlauf des großen Rennens abgehängt worden war. Noch konnte der Club auf einen Zweier im Rennen um die Silver Goblets hoffen, und auch ein Einzel-Skull hatte Chancen auf den Dia- mond.
Aus der Ferne war ein Startschuß zu hören. Augenblicklich wurden Ferngläser an die Augen gehoben, und ein leuchtend gekleidetes Grüppchen, eben noch auf ebener Erde, eilte auf die Tribüne hinauf.
»Also hat Bott sich doch zusammengerissen!« seufzte Dot- tie erleichtert auf und offenbarte damit ihre bislang unter Ver- schluß gehaltene Anspannung.
»Verdammt gute Sicht!« bemerkte vor ihnen ein Mann vom Leander-Club zu seinem Begleiter. »Bei dieser neuen Strecke war ich mir gar nicht so sicher, aber die Startlinie südlich von Temple Island ist zweifellos eine Verbesserung.«
Tish hatte ihr Fernglas stromabwärts gerichtet. »Viel kann ich nicht erkennen«, sagte sie, »nur Punkte. Man sieht über- haupt nicht, wer vor wem liegt.«
»Laß mich mal.« Dottie faßte sie am Arm. »Wir sind doch auf der Berkshire-Seite. Bei dieser hellen Sonne reflektiert das Wasser ganz enorm. Himmel, die scheinen sich ja gar nicht zu bewegen!«
»Aus dieser Entfernung kommen sie einem wirklich ziem- lich langsam vor«, stimmte Tish zu. »Bitte sehr, du bist mal mit dem Fernglas dran, Daisy.«
Daisy schaute kurz hindurch, stellte es etwas schärfer ein und linste noch einmal hindurch. Da waren sie, die beiden Boote. Sie krochen den Fluß hinauf. Sie schaute zu Phyllis Court hinüber, auf dessen Tribüne noch weniger Menschen standen als hier, und sah sich dann die Flotte kleinerer, überall auf dem Fluß verstreuter Boote an. Rennboote wanden sich zwischen ihnen hindurch stromabwärts zum Start.
Sie wendete sich wieder der Rennstrecke zu. Deutlich wa- ren jetzt die einzelnen Männer zu erkennen, wie sie sich an den Rudern abmühten. Aus ihrem Blickwinkel war es schwer, Genaueres auszumachen, aber ihr schien, das Boot von Mar- low hätte die Nase vorn.
Die Ambrose-Mannschaft beschleunigte ihren Schlag. Quälend, Zentimeter um Zentimeter, näherten sie sich wie- der dem Boot von Marlow.
Plötzlich, ohne Vorwarnung, beugte sich Bott über den Bootsrand und übergab sich heftig.
»Ach, um Himmels willen!«
»Was ist denn?« wollte Tish wissen. »Schau mal, die schlin- gern ja nach links und rechts. Was ist denn passiert?«
»Die haben die Sperrkette touchiert«, sagte Dottie re- signiert, während Daisy Tish das Fernglas reichte. »Das kön- nen die doch nie wieder aufholen.«
»Dem Steuermann geht es ja richtig dreckig«, sagte einer der Männer vom Leander-Club vor ihnen. »So sah am Mitt- woch doch auch einer der Männer von Oriel aus.«
Der andere nickte. »Die sind wohl wirklich raus – wie tot im Wasser. Verdammt schade. Wie steht’s denn mit dem näch- sten Durchlauf?«
Daisy beobachtete, wie das Boot von Marlow rasch seine hoffnungslos abgehängten Gegner hinter sich ließ. Die Mannschaft von Ambrose hatte sich wieder so weit gefangen, daß sie gegen den Strom ankam – aber nicht besonders erfolg- reich. Bald konnte sie mit bloßem Auge erkennen, daß Bott sich im Heck zu einem unglückseligen Ball zusammen- gekrampft hatte. Er hielt wohl das Ruder gerade, während Cherry im Bug den Ruderern die Befehle zurief, so daß sie mehr oder minder in der Spur blieben.
»Laßt uns zur Ziellinie hinuntergehen«, schlug Tish mit enttäuschter Miene vor. Sie erreichten die am Ufer veranker- ten Anlegestellen im selben Augenblick, als das Boot von Marlow das Ziel passierte. Schwacher Applaus war zu hören, taktvollerweise keine Hurra-Rufe. Marlow hatte es in die nächste Runde geschafft, doch konnte sich die Mannschaft auf diesen Sieg wahrlich nichts einbilden.
Das Boot von Ambrose kämpfte sich traurig die Strömung hinauf. Gegenwärtige und ehemalige Mannschaftsmitglieder, kenntlich an den weinroten Blazern, kamen heran
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