Miss Daisy Und Der Tote Auf Dem Wasser
Tatsache, daß er sich gleich anschlie- ßend einen zweiten genehmigt hat. Falls er in dem Zustand
Wache schieben will, kann ich nur hoffen, Bott taucht da un- ten nicht auf, sonst gibt es wirklich noch Mord und Tot- schlag.«
Plötzlich aufgeschreckt lag Daisy einen Augenblick da und versuchte angestrengt zu verstehen, was sie hörte. Schwere, ungeschickte Schritte, rauhes Atmen – jemand befand sich in ihrem Zimmer! Sie knipste das Nachttischlämpchen an.
Schwankend stand Basil DeLancey vor ihr, die eine Hand an den Kopf gelegt, die andere vor sich ausgestreckt, als suche er eine Stütze.
Tish lag mit entsetzt aufgerissenen Augen in ihrem Bett, die Decke bis an die Nase hochgezogen. DeLancey trat stol- pernd einen Schritt vor. Tish fing zu kreischen an und setzte sich auf. Ihr Feldbett kippte zur Seite. DeLancey stolperte über eines der Beine, das jetzt ausgestreckt am Boden lag.
Daisy sprang aus dem Bett und lief zu Tish, um sie aus dem Gewirr von Laken und Decken zu befreien.
»Er ist hinter mir her!« wimmerte Tish.
Aber DeLancey lag hingestreckt auf dem Fußboden und stöhnte. Ganz offenbar war er nicht in der Lage, aufzustehen und sich zu nehmen, was er begehrte.
»Möglicherweise. Vielleicht hat er so viel getrunken, daß er dich verführen wollte, und hat dabei vergessen, daß ich ja das Zimmer mit dir teile. Aber wahrscheinlicher ist, daß er sich vor lauter Alkohol oben an der Treppe in der Richtung geirrt hat. Sein Zimmer ist doch das erste zur anderen Seite hin, nicht wahr?«
»Ach so, ja, das stimmt«, sagte Tish dankbar. Sie war lei- chenblaß und starrte den hingestreckten Eindringling an wie das Kaninchen die Schlange.
DeLancey war vollständig angekleidet, er trug einen Pull- over und eine Flanellhose. Daisy blickte kurz zur Uhr auf dem Kaminsims. Nach zwei Uhr morgens!
Er mußte unten geblieben sein und allein weitergetrunken haben. Vielleicht war er auch nur unten eingeschlafen, dachte sie. Möglicherweise war er nicht so sehr vom Alkohol als viel- mehr vom Schlaf trunken. Das wäre weitaus besser, andern- falls würde das anstehende Rennen morgen todsicher wieder zum Desaster.
Wie dem auch sein mochte, weder sie noch Tish konnten in dieser Situation mit ihm umgehen. Sie reichte ihrer Cousine den Bademantel. »Zieh das mal über und geh seinen Bett- nachbarn wecken. Ich glaube, das ist Fosdyke. Der soll ihn ins Bett bugsieren.«
»Mit dem kannst du nicht alleine bleiben.« Tishs Stimme zitterte.
»Natürlich kann ich das. In diesem Zustand kann er nie- manden angreifen. Und außerdem bist du es ja, der er sich nähern wollte. Weck um Himmels willen nicht Rollo oder Cherry. Die würden sofort auf ihn losgehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Weck nur Fosdyke. Nun mach mal.«
Tish verließ das Zimmer. Daisy zog ihren Bademantel an und wandte sich wieder DeLancey zu. Wie er sich so erfolglos aufzurichten versuchte, sah er eher wie ein Opfer als wie ein Übeltäter aus.
Angewidert half ihm Daisy, sich auf die Seite zu rollen und sich mit dem Rücken zur Wand aufzusetzen.
»K-kann gar nicht mehr richtig geradeaus gucken«, murmelte er mit schwerer Zunge. Er stierte vor sich hin, sein Gesicht war tiefrot. Das dunkle, an sich immer mit Pomade zurück- gekämmte Haar stakste in alle Richtungen ab, als sei er mit allen zehn Fingern hindurchgefahren. Sein Atem roch nach Alkohol. »Du liebe Zeit, tut mir der Kopf weh. Was iss’n passiert?«
»Zuviel Whisky ist passiert«, informierte Daisy ihn streng und sehnte sich in Voraussicht übelster Ereignisse eine alt- modische Waschschüssel herbei. »Es sei denn, Sie haben sich noch etwas anderes genehmigt. Wehe, Sie übergeben sich hier in diesem Zimmer.«
»N-nee, nich … Wo …?«
Wenn ihm nicht klar war, daß er sich im Schlafzimmer von Tish befand, wollte Daisy ihn bestimmt nicht darüber auf- klären. Mit etwas Glück hätte er am Morgen seinen kleinen Umweg auf dem Weg ins Bett wieder vergessen.
Tish kehrte mit Fosdyke zurück, der mit schläfrigen Augen, errötetem Gesicht und barfuß erschien, in einen nar- zissengelben Bademantel über narzissengelb gestreifen Pyja- mahosen gekleidet.
»Bitte verzeihen Sie meinen Aufzug«, murmelte der junge Mann und wurde noch etwas röter, als er Daisy erblickte. »Aber Miss Cheringham meinte, ich soll mich nicht erst an- ziehen.«
»Da hatte sie auch ganz recht. Glauben Sie, Sie können Mr. DeLancey zu Bett bringen, ohne daß wir noch jemanden wecken müssen, der Ihnen hilft? Je weniger Menschen von seinem
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