Miss Emergency
hübschesten Frauen Berlins verenden in ihrer Wohnung, erstickt an einem pappigen Toastbrot. Was für eine Verschwendung!«
Isa erstickt nicht. Sie tut etwas vollkommen Isa-Untypisches. Am Sonntagabend ist sie einfach verschwunden.
Wir rätseln, wir sorgen uns, wir hoffen, dass sie dort ist, wo wir sie vermuten – und dass sie zurückkommt. »Schon aus Eigennutz«, erklärt Jenny. »Ohne sie gehen wir hier vollends ein.«
Doch am Morgen ist Isa noch nicht wieder da. Und ihr Handy ist aus. Jetzt sind wir ernsthaft besorgt. Aber es hilft nichts, wir müssen zur Arbeit. Vielleicht ist sie schon dort?
Isa ist nicht in der Klinik. Weil wir auch Tom nicht erreichen, beschließen Jenny und ich, spätestens in der Mittagspause die Polizei zu informieren.
Dr. Thiersch ist schwer getroffen vom Ausfall ihrer Lieblings-PJlerin. Sabrina, die so lange so geduldig gewartet hat, wird wieder auf Platz eins erhoben und bekommt endlich wieder die begehrteste OP. Auch Jenny, die nur selten eingeteilt wird, bekommt eine Assistenz zugewiesen. Nur ich gehe leer aus. Nein, ich habe mich noch nicht dran gewöhnt.
Ich schleiche mich noch vor der Mittagspause zu Ruben; ich möchte ihn sehen, aber sonst niemanden. Die Blicke haben noch nicht aufgehört.
»Sie werden darüber hinwegkommen«, sagt Ruben. »Ihr alle.« Und er braut mir einen bläulich schimmernden Tee, der irgendwie beunruhigend schmeckt.
»Ruben«, frage ich leise, »habe ich mich falsch entschieden?« Er sieht mich an, schüttelt den Kopf. »Du hast dich wie Lena entschieden. Was könnte richtiger sein?!«
Wir sitzen eine halbe Stunde zusammen, ich verdrücke mich erst kurz bevor die Mittagsgäste eintrudeln. Noch im Aufzug frage ich mich, was an Rubens wundersamen Geschichten von der Feuerspuckerin wahr sein kann.
Auf der Chirurgiestation herrscht Aufregung. Mein Herz macht einen Satz: Isa? Falsch. Es geht um mich. »Wo stecken Sie?«, sind die ersten Worte, die die straffe Oberärztin nach gefühlt zwanzig Jahren an mich richtet. »Fragen Sie mich nicht warum, aber Sie werden verlangt.«
Vor dem Arztraum hat sich eine PJler-Traube versammelt. Ehrfürchtiges Schweigen. Die dunkle Gestalt, die an der Tür steht, kenne ich gut – ich kann mir nur nicht erklären, warum sie hier ist. Dr. Al-Sayed.
»Auf Sie habe ich gewartet«, sagt sie ruhig. »Ich brauche eine Assistentin für eine laparoskopische Hysterektomie.«
Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe. Als ich an den Kollegen vorbeigehe, steht in ihren Gesichtern deutlich dieselbe Frage. Gebärmutterentfernung. Eine 90-Minuten-OP. Ganz ruhig gehe ich neben Dr. Al-Sayed her in den OP-Bereich.
Wir waschen uns die Hände. Ziehen uns im OP-Saal steril an. Dr. Al-Sayed ist schweigsam, wie immer, doch es ist ein gutes Schweigen.
»Sie schaffen das, stimmt’s?«, fragt sie nur, als wir an den OP-Tisch treten. Ich nicke.
Miriam, eine Anästhesie-Pflegekraft, zwei OP-Schwestern, Dr. Al-Sayed und ich. Kein weiterer Assistenzarzt. Nur ich. »Wir können jederzeit jemanden rufen«, sagt die schmale Ärztin. »Aber ich weiß, dass Sie es können.«
Der Dauerkatheter wird gelegt. Die Bauchhaut desinfizieren, dann den restlichen Körper steril abdecken. Es geht wie im Schlaf. Die Lena-Maschine läuft. Dr. Al-Sayed bläst den Bauchraum auf und führt die Kamera ein. Der Bauchraum erscheint in siebenfacher Vergrößerung auf den großen Monitoren. Es ist wie im Lehrbuch, ich habe keine Angst.
Dr. Al-Sayed führt zwei Instrumente ein, ich übernehme die Kamera. Die Ärztin nickt. Die Patientin wird kopftief gelagert, die Sicht auf die Gebärmutter freigelegt. In einzelnen Schnitten löst Dr. Al-Sayed das Organ und trennt die Blutversorgung. Ich bin ruhig, die Kamera in meiner Hand zittert nicht ein einziges, winziges Mal. Dr. Al-Sayed entfernt die Gebärmutter, ihre Handbewegungen wirken ganz sanft und trotzdem absolut sicher.
Verschließen, über die Bauchspiegelung kontrollieren, ob kleinere Blutungen bestehen. Alles in Ordnung. Drainageschlauch legen, das Gas ablassen, die Bauchspiegelungsinstrumente entfernen.Ich vernähe die kleinen Einstichwunden, Dr. Al-Sayed sieht mir zu. »Gut«, sagt sie am Ende, »wir sind fertig.« Mehr nicht.
Diesmal bleibt der Heulkrampf aus. Ich bin nicht mal mehr so erschöpft wie beim letzten Mal. »So«, sagt Dr. Al-Sayed, »jetzt können Sie alles.«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Diese OP war mein Ritterschlag und sie war genauso gemeint. Dr. Al-Sayed hat mir vertraut und
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