Miss Emergency
mich damit emporgehoben – von nun an kann mir absolut egal sein, was die anderen sagen. Wahrscheinlich werden sie gar nichts sagen. Dr. Al-Sayed hat mir die Chance gegeben, alle Vorwände zu entkräften. Wenn Dr. Thiersch mich nach dieser OP nicht einteilt, muss sie zugeben, dass sie es aus persönlichen Gründen tut. Das wird sie nicht. Erst jetzt wird mir vollkommen klar, was die schmale Ärztin für mich getan hat.
»Wie oft wollen Sie mich noch retten?«, frage ich bewegt.
Sie lächelt. »Wie oft wird es denn noch nötig sein?« Ich weiß nichts zu sagen. Sie sieht mich an, ernst. »Bis du weißt, was du kannst.«
Meine Rückkehr auf die Station ist kein Triumphzug. Aber Dr. Thiersch wartet an ihrer Bürotür und sieht mich fragend an. Ich nicke. »Alles gut gelaufen, Bericht kommt von der Gynäkologie.« Sie dreht sich weg. »Also operieren können Sie, Frau Weissenbach.« Es klingt knapp und eisig wie immer. Aber ich höre heraus, dass das Gröbste überstanden ist. Ich bin wieder dabei.
Ich suche Jenny, ich brauche jemanden zum Reden. Ich finde sie auf der Treppe. Mit Isa. Wir umarmen uns, Isa strahlt. »Jetzt muss ich nur noch zur Oberärztin und mich untertänig für mein Fernbleiben entschuldigen«, sagt sie und klingt gar nicht ängstlich. »Für das da!«
Sie streckt uns ihre Hand hin. Ein silberner Ring, schmal und grazil.
»Wenn wir nicht die Brautjungfern sein dürfen, bring ich dich um«, sagt Jenny.
Isa schüttelt den Kopf. »Natürlich seid ihr es. Wer sonst?!«
Die letzte Begegnung des Kliniktages findet auf dem Parkplatzstatt. Tobias steht da, als wir herauskommen. Er hat gewartet, friert. Meine Freundinnen stocken unsicher. Aber ich gehe entschlossen auf ihn zu.
»Meinen Glückwunsch, Lena«, sagt er. »Wie schön, dich so erlöst zu sehen.«
»Wie geht es dir?«, frage ich.
»Noch nicht besser«, sagt er leise. »Aber ich hoffe, das Gefühl wird irgendwann weniger …«
Er steigt ein, langsam. Sieht mich an, nickt zum Abschied. Sieht weg.
»Komm jetzt, Lena!«, ruft Jenny über den Platz. Ich reiße mich vom Anblick des davonrollenden grünen Wagens los. Und dann gehe ich nach Hause. Wo meine Freunde sind, mein eigenes Leben.
D er Januar ist fast vergangen. Wir haben unsere Protokolle abgegeben, nur das Probeexamen steht noch aus. Heute ist der erste Tag, an dem niemand den Feierabend herbeisehnt.
Zum Dienstschluss stehen die PJler herausgeputzt auf dem Flur, die Kittel blütenweiß, die Köpfe nervös-rot. Vielleicht bin ich die Einzige, die keine Angst hat. Nichts, was da kommt, wird mich aufhalten können. Ein nie gekanntes Stärkegefühl.
Wir haben das Wochenende durchgelernt, Isa hat sogar auf ihre Wochenend-Bahnreise verzichtet. Jetzt lehnt sie neben mir an der Wand und dreht den Ring an ihrem Finger, als könne er Wünsche erfüllen. Und immer noch betrachtet sie ihn, als ob sie es nicht glauben kann.
Eine überstürzte Heirat soll es nicht werden. Isa will auch das dritte Tertial an unserer Seite absolvieren. »Jetzt wird es doch erst spannend«, lächelt sie.
Im nächsten, letzten Abschnitt müssen wir uns für eine Station entscheiden. Isa überlegt ernsthaft, ob sie auf der Chirurgie bleiben soll. Dr. Thiersch hat ihr den unentschuldigt versäumten Morgen vergeben – vielleicht steckt doch eine Frau hinter der eiskalten Schale? – und Isa wird häufiger eingeteilt und hat inzwischen weit mehr Erfahrung als wir alle.
Jenny ist entschlossen, sich erst am allerletzten Tag zu entscheiden. Und ich behaupte dasselbe. Tatsächlich bewege ich immer noch Dr. Al-Sayeds Abschiedsworte in meinem Kopf herum. Sie würde sich freuen, wenn ich mich für ihre Abteilung entscheide.Ich habe eigentlich nie an Gynäkologie gedacht. Aber vielleicht …? Sabrina kommt aus dem Arztraum, erlöst, strahlend. »Alles Gute«, sagt sie und umarmt mich ganz unvermutet.
Das Letzte, was ich sehe, bevor ich vom Flur in den Arztraum trete, ist ein blonder Schopf an der Tür zur Treppe. Felix. Kommt er, um Jenny Glück zu wünschen? Mein Blick findet ihr Gesicht, ihre Augen leuchten auf, sie sieht nur Felix. Er kommt herüber, er lächelt. Schade, dass ich nicht bleiben kann. Aber auf mich wartet die Eisprinzessin.
Dr. Thiersch sitzt zwischen zwei Chirurgen. »Na dann viel Glück.« Selbst von ihr.
Auf dem Tisch vor den Ärzten steht eine Schachtel, Dr. Gode hält sie mir hin. Ich ziehe eine Karte: Mitralklappeninsuffizienz. Ich erkläre Symptome, Ursachen und Diagnose, die
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