Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Miss Lily verliert ihr Herz

Miss Lily verliert ihr Herz

Titel: Miss Lily verliert ihr Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DEB MARLOWE
Vom Netzwerk:
Spaziergänge unternommen. Aber nach dem Tod des Vaters verkehrten sie kaum noch in Gesellschaft.
    Vielleicht, dachte sie und seufzte erneut, hätte ich sogar einen Verlobten, genau wie sie.
    Die vorwurfsvolle Stimme ihrer Mutter riss sie aus ihren Tagträumen. „Du wirst doch nicht immer noch bedauern, dass du nicht an den oberflächlichen Vergnügungen der Londoner Gesellschaft teilnimmst?“
    „Natürlich nicht!“ Sie ließ sich auf ihren Stuhl sinken und griff nach Mrs. Mores Buch. In diesem Moment brachte ein warmer Windhauch den Duft der Frühlingsblumen mit, die im Hyde Park blühten. Einem plötzlichen Entschluss folgend, zog Lily Miss Vagantis Smaragdtempel hervor und legte Mrs. Mores frommes Werk beiseite. Sie schlug den Roman auf und versuchte zu lesen, obwohl sie den tadelnden Blick ihrer Mutter auf sich spürte.
    „Ich hoffe“, sagte Mrs. Beecham jedoch nur, „dass Miss Dawson an einem der anderen Stände etwas kauft. Mr. Cooperages Vorhaben ist so wichtig! Ich darf gar nicht an all die verlorenen Seelen denken, die auf ihre Rettung warten!“
    „Mach dir keine unnötigen Sorgen, Mama. Als wir heute Morgen herkamen, habe ich die Grillen zirpen gehört. Das ist ein gutes Zeichen.“
    „Welch ein Unsinn! Du weißt doch, was ich von solchem Aberglauben halte! Du solltest …“
    Lily erfuhr nie, was sie tun sollte, denn in diesem Moment, erschien Lady Ashford. „Stellen Sie sich nur vor, Mrs. Beecham“, rief sie aufgeregt, „Mr. Wilberforce höchstpersönlich ist hier, um uns zu danken.“
    „Oh!“ Mrs. Beecham stieg das Blut in die Wangen. Mr. Wilberforce, der sich im Unterhaus vehement für die endgültige Abschaffung der Sklaverei und andere Ziele der christlichen Reformbewegung einsetzte, war ihr persönliches Idol. „Wie wundervoll!“
    „Ich habe ihm von Ihrem unermüdlichen Einsatz und Ihrem Erfolg beim Aufbau der Armenschule in Weymouth berichtet. Er möchte sich gern eingehender mit Ihnen darüber unterhalten und lädt Sie deshalb zu einer Kutschfahrt ein.“
    Ein neuerliches „Oh“ war alles, was Mrs. Beecham hervorbrachte.
    „Kommen Sie!“, befahl Lady Ashford. „Wir wollen ihn nicht warten lassen.“
    „Geh nur, Mama“, ermutigte Lily ihre Mutter. „Ich kann mich durchaus eine Zeit lang allein um den Büchertisch kümmern.“
    „Allerdings“, stimmte Lady Ashford ihr zu. „Beeilen Sie sich, Mrs. Beecham!“
    Lily schaute den beiden nach, die zu Mr. Wilberforce’ Kutsche eilten. Doch bald zogen andere Dinge ihre Aufmerksamkeit auf sich. Der Verkehr auf der Straße hatte zugenommen. Auch im Park herrschte jetzt viel Betrieb. Vornehme Kutschen rollten über die Wege, und modisch gekleidete Damen schlenderten begleitet von ihren Verehrern an bunten Blumenbeeten vorbei. Gentlemen hoch zu Pferde zogen grüßend die Hüte, wenn sie Bekannten begegneten.
    Ob diese Menschen tatsächlich alle so oberflächlich waren, wie ihre Mama behauptete? Lily wollte das einfach nicht glauben. Bestimmt gab es auch unter den Mitgliedern der guten Gesellschaft viele, die die Forderungen der Reformer befürworteten. War Lady Ashford nicht ein gutes Beispiel dafür? Sie verkehrte in den besten Kreisen, schätzte elegante Kleidung und nahm gewiss an vielen gesellschaftlichen Ereignissen teil, ohne darüber ihre edlen Ziele zu vergessen.
    Warum also muss ich herumlaufen wie ein Aschenputtel, dachte Lily. Warum darf ich nichts von all dem tun, was mir Spaß macht? Ich bin jung, aber mein Leben unterscheidet sich in nichts von dem meiner Mutter. Und trotzdem ist sie nie zufrieden mit mir.
    „Meine liebe Miss Beecham, hier sind Sie also!“
    Sie hatte nicht bemerkt, dass Mr. Cooperage sich dem Büchertisch genähert hatte. Er war ein sehr korrekter Mann, und doch bereitete seine Gegenwart ihr stets ein wenig Unbehagen. Vielleicht lag es an seiner salbungsvollen Sprechweise …
    „Machen Sie einen kleinen Spaziergang mit mir?“, fragte er.
    „Ich sollte den Stand nicht allein lassen.“
    „Wir gehen nur so weit, dass wir ihn im Augen behalten können“, gab der zukünftige Missionar zurück und reichte ihr den Arm. „Sie können sich wirklich glücklich schätzen, eine Mutter zu haben, die so fest im Glauben steht.“
    Lily wusste nicht recht, was sie darauf antworten sollte.
    „Wie bewundernswert sind doch jene Menschen, die alle weltliche Eitelkeit hinter sich lassen und nicht mehr nach schalen Vergnügungen streben.“
    Das waren Sätze, wie Lily sie während der vergangenen Jahre hundert

Weitere Kostenlose Bücher