Miss Lily verliert ihr Herz
gefragt? Wer war es? Die Amerikaner? Oder die Engländer?“ Er senkte den Blick. „Ich hatte gehofft, du würdest mich nicht verraten.“
„Matthew“, meinte sie in eindringlichem Ton, „ich habe dich nicht verraten. Jack will dir helfen. Sonst hätte ich ihn nicht hergebracht.“
„Ich arbeite weder für die englischen noch für die amerikanischen Behörden“, fiel Jack ein. „Mir geht es nur um Batiste. Ich will, dass der Schurke für seine Untaten gehängt wird.“
„Wollen wir uns nicht ins Frühstückszimmer setzen?“, schlug Lily vor. „Ich bin hungrig, durstig und erschöpft. Aber ich brenne darauf, deine Geschichte zu hören, Matthew.“
„Und ich“, sagte ihr Cousin zu Jack gewandt, „möchte unbedingt erfahren, was Sie mit Batiste zu tun haben, Mr. Alden.“
Die Männer folgten Lily in den sonnendurchfluteten Raum. Und während sie noch leicht beunruhigt von einem zum anderen schaute, begann Jack, auf Matthews Drängen hin, bereits mit seinem Bericht.
Ein reichhaltiges Frühstück wurde gebracht, doch sobald das Dienstmädchen sich zurückgezogen hatte, setzten die beiden Männer und Lily ihr Gespräch fort.
Jack sprach gerade von Lord Treyford und seiner Verlobten Chione Latimer, als Matthew ihn unterbrach. „Latimer?“, vergewisserte er sich. „Ich erinnere mich, dass Batiste diesen Namen oft erwähnte. Allerdings ging es, wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht, um einen Mervyn Latimer. Batiste muss ihn gehasst haben.“
„Ja. Seine Wut auf Latimer war so groß, dass er ihn entführte und ihn länger als ein Jahr gefangen hielt.“
„O Gott! Er hat ihn auf der ‚Lady Vengeance‘ eingesperrt!“ Das war eine Feststellung, keine Frage.
„Woher wissen Sie das?“
Kleine Schweißperlen standen auf Matthews Stirn, er hatte die Hände zu Fäusten geballt und begann lauthals zu fluchen. „Hat Batiste ihn umgebracht?“, wollte er wissen.
„Nein. Latimer konnte entkommen.“
„Dem Himmel sei Dank!“
Lily hatte den Gefühlsausbruch ihres Cousins erstaunt beobachtet. „Was ist los?“, erkundigte sie sich besorgt.
„Ich habe das Gefängnis gebaut, in dem Latimer festgehalten wurde“, gestand Matthew.
„O nein!“ Entsetzt riss Lily die Augen auf.
Jack hingegen fragte ganz ruhig: „Wie ist es dazu gekommen?“
Matthew atmete ein paar Mal tief durch, ehe er sagte: „Er hat mich … überlistet. Eines Abends, als ich mich mit Freunden in einer Kneipe getroffen hatte, müssen seine Leute sich zu uns gesellt haben. Ich erinnere mich nicht genau, was geschehen ist. Vermutlich haben sie mir ein Betäubungsmittel verabreicht. Jedenfalls brachten sie mich irgendwie dazu, einen Schuldschein zu unterschreiben. Da ich die Summe nicht so schnell wie gefordert aufbringen konnte, schlug Batiste mir vor, die Schulden abzuarbeiten. Auf seinen Schiffen müssten ein paar Änderungen vorgenommen werden; die richtige Arbeit für einen Schiffsbauer.“ Er stöhnte laut auf. „Zunächst baute ich auf einem Handelsschiff ein Zwischendeck ein, vermutlich für den Transport von Sklaven.“
„Aber England hat den Überseehandel mit Sklaven verboten!“, rief Lily aus.
„Und die Amerikaner haben die Einfuhr neuer Sklaven unter Strafe gestellt. Beides hat bisher hauptsächlich dazu geführt, dass die Preise für Sklaven in die Höhe geschnellt sind, weil man sie nun heimlich von Afrika nach Amerika bringen muss.“
„O Gott!“ Lily war blass geworden.
Jack lenkte das Gespräch zum ursprünglichen Thema zurück. „Was war mit dieser Gefängniszelle?“
„Sie zu bauen war die zweite Aufgabe, zu der ich gezwungen wurde. Man hielt mich auf der ‚Lady Vengeance‘ fest, doch immerhin durfte ich mich an Bord des Schiffes frei bewegen. Zu diesem Zeitpunkt war mir längst klar geworden, dass Batiste mich nie freiwillig gehen lassen würde. Ich musste diesem Teufel in Menschengestalt irgendwie entfliehen.“ In knappen Worten berichtete er, wie ihm die Flucht schließlich gelungen war.
„Aber“, wandte Jack ein, „dass Sie ihm entkommen sind, erklärt noch nicht, warum er Sie mit solchem Hass verfolgt. Nach allem, was ich gehört habe, will er sich um jeden Preis an Ihnen rächen. Wofür?“
Matthew seufzte. „Einen Moment bitte. Ich bin gleich zurück.“ Damit verließ er den Raum.
Lily war den Tränen nahe. Nie hätte sie erwartet, dass ihr Cousin irgendwie in den verbotenen Sklavenhandel verwickelt war. Nun schwebte er offensichtlich in doppelter Gefahr: Einerseits suchten die
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