Miss Lily verliert ihr Herz
Menschen bereuen. Erinnerst du dich? Ich jedenfalls kann es nicht vergessen.“
Jack bereute, was in der letzten Nacht geschehen war? Ein Schauer überlief Lily, und sie errötete. Sollten ihre schlimmsten Befürchtungen sich tatsächlich bewahrheiten?
Zum Glück hatte er ihre Reaktion beobachtet und sie richtig gedeutet. „Nein, nein“, beeilte er sich, ihr zu versichern, „ich bereue unser Zusammensein nicht.“ Mit ausgestreckten Händen trat er auf sie zu, legte ihr die Finger leicht auf die Oberarme. Zögernd sprach er weiter. „Es war wunderschön. Nur wir zwei … Für mich hätte es immer so bleiben können. Doch dann kam der neue Tag und …“ Er zuckte die Schultern. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, dir zu berichten, was ich in London erfahren habe. Beinahe hätte die Marine den Sklavenhändler Batiste erwischt. Aber dann ist er den Verfolgern doch wieder entschlüpft. Und nun habe ich das Gefühl, ich müsse eine einmal begonnene Aufgabe erst beenden, ehe ich mich anderen Dingen widmen kann. Das verstehst du doch? Es ist wichtig, dass dieser Verbrecher seine gerechte Strafe erhält.“
Schweigend schaute Lily zu ihm auf.
Er zog sie an sich und hielt sie fest. „Erst wenn Batiste gefasst ist, werde ich mich frei fühlen, mein eigenes Glück zu verfolgen.“
Lily spürte, wie Zorn in ihr aufstieg.
„Ich weiß, dass dein Cousin dir geschrieben hat“, stellte Jack in diesem Moment fest.
Sie befreite sich aus seiner Umarmung und blitzte ihn wütend an. „Woher?“
„Minerva erwähnte es. Du darfst es ihr nicht übel nehmen. Sie weiß ja nicht, dass auch ich ein Interesse an Matthew Beecham habe. Aber ich will dich nicht drängen, ihn zu verraten. Ich werde andere Mittel und Wege finden, um ihn zu finden. Vielleicht erwische ich Batiste auch ohne die Hilfe deines Cousins. Wenn nötig, werde ich jede Schifffahrtsgesellschaft in England aufsuchen oder vor dem Gebäude der Admiralität warten, bis ich etwas erfahre. Ich könnte sogar Mervyn Latimer bitten, mir einen schnellen Segler zur Verfügung zu stellen. Ja, ich wäre bereit, selbst die Verfolgung von Batiste aufzunehmen. Sobald er gefasst ist, komme ich zurück zu dir.“
Lily schüttelte den Kopf. Nie hatte sie sich so verlassen gefühlt. Enttäuschung und Zorn erfüllten sie. Sie hatte geglaubt, Jacks Mauern überwunden zu haben. Und nun zog er sich doch wieder hinter seine Schutzwälle zurück. Statt zu seinen Gefühlen zu stehen, floh er. Und seine Flucht begründete er mit scheinbar vernünftigen Argumenten.
Als hätte Liebe etwas mit Vernunft zu tun!
„Du machst dir selbst etwas vor, Jack“, erklärte Lily mit unerwartet fester Stimme.
„Dann glaubst du mir nicht?“
Sie sah ihn nur vorwurfsvoll an.
„Lily, ich …“
Sie brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. „Ich denke, ich sollte dir geben, was du dir wünschst, Jack Alden.“
Er trat einen Schritt zurück, so fremd kam sie ihm plötzlich vor.
„Ich werde dich zu meinem Cousin Matthew bringen.“
Seine Miene veränderte sich. „Dann weißt du, wo er sich aufhält?“
„Ja. Ich werde dich zu ihm führen, wenn du mir versprichst, ihn zu schützen.“ Sie wartete einen Moment, und als Jack nichts sagte, wiederholte sie ungeduldig: „Du musst es versprechen!“
„Gut. Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um ihn zu schützen.“ Jacks Stimmung war vollkommen umgeschlagen. Er machte jetzt einen sehr lebendigen, eifrigen Eindruck. „Du weißt, dass ich ihn nur befragen will.“
„Vielleicht kann er dir wirklich einen Hinweis geben.“
„Ich danke dir, Lily.“ Seine Augen glänzten.
Sie musterte einen Moment lang sein Gesicht, nickte dann, als sei sie sich über etwas klar geworden, und meinte: „Auch ich möchte, dass dieser Verbrecher gefasst wird. Ja, ich möchte sogar, dass du es bist, der ihn erwischt. Sieh zu, wie er gehängt wird. Tu, was immer dir so unendlich wichtig erscheint. Und wenn es dann erledigt ist und du feststellst, dass deine Dämonen, dich noch immer verfolgen, dann wirst du dich vielleicht an das erinnern, was ich dir gesagt habe.“ Damit wandte sie sich ab und ging mit großen Schritten fort. „Aber bis dahin, fürchte ich, hat sich das Glück endgültig von uns abgewandt“, rief sie noch über die Schulter zurück.
Obwohl Mrs. Babbit ihre Besorgnis deutlich zum Ausdruck brachte und Jack heftig protestierte, bestand Lily darauf, noch am gleichen Tag mit Jack aufzubrechen. Sie hatte sich geweigert, ihm mitzuteilen, wo er
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