Miss Lily verliert ihr Herz
Matthew finden würde. Also sah er sich schließlich gezwungen nachzugeben. Sie würden gemeinsam reiten.
„Aber was soll aus Mr. Bartleigh werden?“, gab er zu bedenken. Es war sein letzter Versuch, Lily umzustimmen.
„Er braucht mich nicht. Alle Vorbereitungen sind erledigt. Morgen kann er sich auf den Heimweg machen. Bis zur Bestattung seiner Gattin werden noch ein paar Tage vergehen. Dann werde ich längst wieder bei ihm sein und ihm zur Seite stehen.“
Jack gab sich geschlagen. „Wohin reisen wir?“
Lily schaute ihn nachdenklich an. „Das wirst du noch früh genug erfahren.“ Sie ließ sich von dem Stallknecht in den Sattel des Pferdes, das die Babbits ihr zur Verfügung gestellt hatten, helfen.
Die ersten Meilen legten sie schweigend zurück. Sie hatten die Straße nach Südwesten eingeschlagen. Und nach einiger Zeit sagte Jack: „Matthew ist bei dir zu Hause?“
„Jetzt vielleicht noch nicht. Aber er wird auf jeden Fall dorthin kommen.“
„Wie lange brauchen wir zu deinem Elternhaus?“
„Bei Tagesanbruch müssten wir dort sein.“
„Heißt das, du willst die ganze Nacht durch reiten? Mein Gott, Lily, du musst doch müde sein!“
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Straße richtete. „Wenn du nicht mithalten kannst, kommst du einfach später nach.“
Sein Herz zog sich zusammen. Er hatte ihr Lächeln gesehen, dieses winzige Lächeln, das stets um ihre Mundwinkel spielte, wenn sie etwas sagte oder tat, um seine Stimmung aufzuhellen. Diesmal hätte er am liebsten darüber geweint …
„In Totton sollten wir die Pferde wechseln“, schlug sie vor. „Ich bin froh, dass das Wetter so gut ist. Wenn diese Nacht ebenso klar wird wie die letzte, dürften wir unterwegs keine Probleme bekommen.“
Trotzdem wurde es ein sehr anstrengender Ritt.
Die Sonne war bereits aufgegangen, als Weymouth in Sicht kam und Lily das Pferd von der Überlandstraße auf einen kleineren Weg lenkte. Sie verspürte keinerlei Freude darüber, nach so langer Zeit nach Hause zu kommen. Sie fühlte sich ausgelaugt und leer.
Jack hingegen schien regelrecht aufzuleben. Als das ländlich gelegene Haus der Beechams vor ihnen auftauchte, ein altes zweigeschossiges Gebäude aus Natursteinen, konnte er seine Ungeduld kaum noch zügeln. Bald würde er Matthew treffen! Bald würde er mehr über Batistes Aufenthaltsort erfahren.
Lily sprang vom Pferd, überließ es Jack, sich um das erschöpfte Tier zu kümmern, und eilte zur Tür. Diese wurde aufgerissen, noch ehe Lily den Klopfer betätigen konnte. Mrs. Tilbury, die Haushälterin, erschien und rief: „Miss Lily! Welch eine Überraschung! Ich hatte ja keine Ahnung!“ Sie versank in einen Knicks, schaute sich dann suchend um und fragte: „Ist Mrs. Beecham auch da?“
„Nein.“ Müde schüttelte Lily den Kopf. „Sie ist noch …“
Ehe sie ihren Satz vollenden konnte, wurde sie in die Höhe gehoben.
„Lilikins!“, rief jemand, zog sie ins Haus und wirbelte sie herum.
„Oh“, stieß sie schließlich atemlos hervor, „Matthew! Lass mich sofort herunter!“
Er gehorchte.
Mrs. Tilbury und Lily wechselten einen amüsierten Blick. Dann meinte die Haushälterin: „Ich muss in der Küche nach dem Rechten sehen. Aber vorher schicke ich noch einen Burschen nach draußen, der sich um Ihr Gepäck kümmern soll, Miss.“
„Danke. Können Sie dafür sorgen, dass man uns Tee und etwas zu essen ins Frühstückszimmer bringt?“
„Natürlich.“ Die Haushälterin verschwand.
„Ich bin so froh, dass du da bist“, rief Matthew und strahlte seine Cousine an. „Tatsächlich hatte ich schon befürchtet, du würdest vielleicht nicht ankommen, ehe …“ Er unterbrach sich, und sein Lächeln erlosch. Mit gerunzelter Stirn starrte er Jack an, der gerade das Haus betrat. „Wer ist das?“
„Matthew, darf ich dir Jack Alden, einen guten Freund, vorstellen?“ Sie konnte spüren, wie seine Anspannung nachließ.
Er deutete eine Verbeugung an. „Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich unhöflich war. Doch ich hatte angenommen, meine Cousine würde mit ihrer Mutter reisen.“
„Mama ist noch irgendwo in Kent unterwegs“, erklärte Lily, „oder sie ist gerade erst nach London zurückgekehrt. Bis sie hier eintrifft, werden wohl noch ein paar Tage vergehen.“ Sie legte Matthew die Hand auf den Arm. „Ich habe Mr. Alden mitgebracht, weil er über Batiste Bescheid weiß.“
Ihr Cousin wurde blass. „Man hat dich also schon nach mir
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