Miss Pettigrews grosser Tag
lehnte sich langsam ebenfalls zurück. Es war seine Angelegenheit. Er würde es schon am besten wissen. Und er wusste nun eindeutig auch, dass sie nicht aus wohlhabenden Verhältnissen stammte. Hoffentlich lachte er sie nicht aus, aber es war zu spät, um noch etwas daran zu ändern. Mit einem Mal hatte sie das Verstellspiel satt.
»Ich weiß, dass es schwerreiche Menschen gibt«, sagte sie demütig, »aber ich tue mich nicht leicht, in Kategorien wie Pfund zu denken. Ich zähle in Pence.«
»Es gab eine Zeit«, sagte Joe, »da war mein größter Luxus ein Platz in einem Konzertsaal, oben im zweiten Rang.«
»Oh«, sagte Miss Pettigrew erfreut, »dann verstehen Sie es wohl.«
Zufrieden lehnte sie sich weiter zurück. Der kalte Novemberwind fegte durch Ritzen in das Taxi hinein. Genussvoll zog sie ihren Pelzmantel enger um sich.
»Es ist kalt«, sagte Joe, legte bedächtig seinen Arm um Miss Pettigrew und rückte nah zu ihr hin.
Miss Pettigrew saß in einem Taxi, mit einem fremden Mann, der die Unverfrorenheit besaß, seinen Arm um sie zu legen, und Miss Pettigrew … Miss Pettigrew entspannte sich. Sie ließ sich zurücksinken. Sie legte den Kopf auf
seine Schulter. Nie in ihrem Leben war sie so verrucht – und so glücklich gewesen. Sie wollte sich nicht mehr verstellen. Sie hörte ihre eigene Stimme, sehr laut und sehr bestimmt:
»Ich bin vierzig«, sagte Miss Pettigrew, »und bis zu diesem Tag hat noch nie jemand mit mir geflirtet. Für Sie ist es vielleicht kein allzu großes Vergnügen, für mich schon. Ich bin sehr glücklich.«
Sie fand seine freie Hand und griff danach. Joes Hand schloss sich warm und beruhigend um die ihre.
»Mir ist auch sehr wohl zumute«, sagte Joe.
»Mr. Blomfield …«, begann Miss Pettigrew.
»Warum nicht Joe?«, redete er ihr zu. »Tauen wir ein bisschen auf.«
»Joe«, sagte Miss Pettigrew scheu.
»Danke.«
»Ich heiße Guinevere«, sagte sie zaghaft.
»Das habe ich schon gehört«, sagte Joe. »Wenn ich darf …«
»Sehr gerne.«
»Ich bin sehr glücklich, dass wir uns kennengelernt haben, Guinevere«, sagte Joe.
»Ich hatte einen wundervollen Tag«, vertraute Miss Pettigrew ihm an. »Einfach unglaublich. Zuerst habe ich nur zugesehen, was mit den anderen geschieht, aber jetzt bin ich selbst mittendrin. Diesen Tag werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Und Sie sind der perfekte Abschluss.«
Miss Pettigrew war die eigenartigste Dame, um die Joe je einen Arm gelegt hatte, doch ihre Eigenart rief in ihm ein Gefühl von Zufriedenheit hervor. Sie war anders als die anderen, und selbst ein Mann von Mitte fünfzig kann Gefallen an einer kleinen Abwechslung finden. Ihr merkwürdiges Benehmen, ihre verwirrenden Bemerkungen, ihre schüchterne Freude – all das war ihm bisher nie begegnet
und erfüllte ihn mit tiefster Befriedigung. Was war denn schon so ein Backfischgesicht … nett anzusehen, weiter nichts … gegen das Gefühl, mit sich und der Welt im Reinen zu sein, das Miss Pettigrew in einem Mann wachrief.
»Bequem so?«, fragte Joe und drückte Miss Pettigrew liebevoll.
»Sehr«, sagte Miss Pettigrew geradeheraus.
Damit war ein perfekter Grund gegeben, sie noch näher an sich zu ziehen, und Joe war keiner, der lange fackelte. Er zog. Miss Pettigrew rückte näher zu ihm.
»Es ist mir gleich«, sagte sie unvermittelt, »ob Sie lieber bei Angela wären oder nicht.«
»Ich wäre nicht lieber bei Angela«, sagte Joe feierlich.
Miss Pettigrew wandte den Kopf ein Stückchen zur Seite und sah Joe an. War es der Sherry, den sie getrunken hatte, oder war es Joes um sie geschlungener Arm, der sie kühn machte?
»Ich begreife nicht«, sagte sie streng, »warum vernünftige Männer wie Sie sich von diesen jungen Dingern den Kopf verdrehen lassen. Auf die Dauer zieht man dabei ja doch den Kürzeren, und ich möchte Sie nicht gerne leiden sehen.«
»Ich lasse mir niemals von jungen Dingern den Kopf verdrehen«, sagte Joe.
»Oh!« Miss Pettigrew klang nicht überzeugt.
»Sehen Sie«, erläuterte Joe, »in meiner Jugend hatte ich wahrlich kein lustiges Leben. Keine Partys, keine Bälle, keine Mädchen. Deswegen habe ich nun, da ich über etwas Geld und Muße verfüge, ganz gern ein wenig Leben und Treiben um mich. Ich kaufe ihnen ein paar Geschenke, und zum Dank sind sie sehr … charmant. Mit ihnen fühle ich mich wieder jung. Beide Seiten bekommen, was sie wollen, aber ich mache mir nichts vor. Bei meiner Seele, ich nicht.«
»Das verstehe ich«, sagte Miss
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