Miss Pettigrews grosser Tag
anklingen.
»Ah!«, konterte Joe blitzschnell. »Das heißt, Sie könnten?«
»Möglicherweise«, sagte Miss Pettigrew kokett.
»Das heißt?«
»Für gewöhnlich«, sagte Miss Pettigrew mit schier übermenschlicher Tollkühnheit, »verliebe ich mich nicht auf der Stelle in jeden gut aussehenden Mann, dem ich begegne.«
»Ich?«, fragte Joe, offensichtlich erfreut, »Gut aussehend?«
»Keine falsche Bescheidenheit«, sagte Miss Pettigrew. »Sie wissen haargenau, dass Sie sich um Ihr Aussehen keine Gedanken machen müssen.«
»Darf ich das Kompliment zurückgeben«, sagte Joe.
Joe strahlte. Miss Pettigrew fühlte sich unendlich wohl in ihrer Haut. Sie wagte eine weitere delikate Anspielung.
»Was das wollene Unterzeug angeht«, sagte sie.
Joe ließ ein amüsiertes, dröhnendes Lachen hören. Er war nicht schwer von Begriff.
»Das bringt einen auf abwegige Gedanken«, gluckste er, »aber die Richtung stimmt.«
Miss Pettigrew bedachte ihn mit einem äußerst zurückhaltenden Blick.
»Morgen kehre ich zu Vernunft und warmen Unterhemden zurück«, versprach Joe.
Ein geteilter Glaube an den Wert von wollener Unterwäsche war ein Band, das alle Schranken fallen ließ. Offensichtlich hatten sie ganz wesentliche gemeinsame Vorlieben. Miss Pettigrew hielt Joes freie, warme Hand fest umklammert. Joes Arm lag weiter um ihre Schulter. Zu ihrer beider Zufriedenheit. Zu wissen, dass es eine Frau nicht kaltließ, wenn er, ein Mann von Mitte fünfzig, den Arm um sie legte, versetzte ihn seinerseits in Erregung, ließ ihn sich um Jahre jünger fühlen. Bei diesen frechen jungen Fratzen war man sich ja nie so sicher.
»Apropos Bekleidung«, sagte er, »da kenne ich mich ein bisschen aus. Geht nicht anders, in meiner Branche. Ihr schwarzes Kleid lässt nur eins zu wünschen übrig.«
»Und zwar?«, fragte Miss Pettigrew leicht perplex, aber vor allem überaus wissbegierig.
»Perlen«, sagte Joe. »Eine hübsche Perlenkette, damit wären Sie perfekt.«
»Perlen!« Miss Pettigrew schnappte nach Luft. »Ich? Ich habe mein Leben lang nicht mal so etwas wie eine falsche Perlenkette besessen.«
»Dann kaufe ich Ihnen eine«, sagte Joe.
Miss Pettigrew war wie vom Donner gerührt. Nun war es also so weit. Ein Mann versuchte, sie mit Geschenken zu kaufen. Das war der erste, bedeutsame Schritt. Wenn ein Filmdarsteller der Heldin den ersten Schmuck zu Füßen legte, war Gefahr im Anzug. Man musste ihn sich nur ansehen! Kein anständiger Mann kam einer Dame mit Geschenken. Schon gar nicht mit Schmuck! Das hatte etwas Zwielichtiges, leicht Anstößiges. Pralinen, ja, Blumen, Taschentücher, kostspielige Einladungen zu Abendessen und Theatervorstellungen, nun gut, aber kein Schmuck, keine Pelzmäntel. Damit verriet sich der Schurke, war das anständige Mädchen gewarnt.
»Mein Leben lang«, sagte Miss Pettigrew, »habe ich mich nach Schmuck gesehnt. Ich hätte zu gern welchen.«
»Dann sollen Sie morgen welchen haben«, sagte Joe.
»Ich nehme das Angebot an«, sagte Miss Pettigrew.
»Warum auch nicht?«, fragte Joe verdutzt.
»Weil Damen so etwas nicht tun.«
»Sind Sie eine Dame?«
»Ja.«
»Ich wusste es«, sagte Joe grimmig. »Ich habe es befürchtet. Ich hatte so ein Gefühl, dass Sie anders sind als die anderen.«
»Es tut mir leid«, sagte Miss Pettigrew betreten.
»Das macht die Sache ein bisschen kompliziert, oder?«, fragte Joe trübsinnig.
»Wieso?«
»Oder etwa nicht?«
»Nein«, sagte Miss Pettigrew. »Ich finde es sehr viel
angenehmer, keine Dame zu sein. Damenhaft zurückhaltend war ich schließlich mein ganzes Leben lang. Und was habe ich davon? Nichts. Schluss damit.«
»Ah!« Joes Miene hellte sich auf. »Das macht die Sache wiederum leichter.«
»Welche Sache?«, fragte Miss Pettigrew.
»Die Sache mit dem Küssen«, unternahm Joe einen zarten Vorstoß.
»Oh!«
Miss Pettigrew wuchs über sich hinaus.
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Dann schlage ich vor … wir probieren es einfach.«
Sie probierten es. Miss Pettigrew, zugegeben, mangels Erfahrung noch etwas unbeholfen, doch Joe war ein versierter und technisch ausgereifter Lehrer.
Als Miss Pettigrew endlich von den Höhen des Olymp zurück auf die Erde kam, war sie eine andere Frau. Von nun an durfte sie den Kopf hoch tragen. Von nun an hatte ihr Wort Gewicht. Sie war nicht länger unerfahren. Sie war gründlich und ausgiebig geküsst worden, kenntnisreich, meisterlich, feurig. Auf ihrem Gesicht lag ein solches Strahlen, dass Joe ganz
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