Miss Pettigrews grosser Tag
Pettigrew zu seiner Überraschung. »Ich habe niemals Spaß gehabt oder mich amüsiert. Der heutige Tag war mir eine Lehre. Ich habe eine Reihe frivoler Neigungen in mir entdeckt, von denen ich bisher nichts wusste.«
»Ausgezeichnet«, sagte Joe. »Dann genießen wir das Leben doch gemeinsam.«
Es war nur ein Spruch, das wusste Miss Pettigrew recht wohl, doch plötzlich hatte sie eine Vision von einem bunten, prallen Leben – das vielleicht sogar ein bisschen vulgär sein mochte. Er würde sich hier und da betrinken, würde sie zweifellos schockieren. Er war kein Feingeist. Er würde fragwürdige Subjekte mit nach Hause bringen. Ihre moralischen Grundsätze würden auf den Kopf gestellt werden, aber welches Wohlgefühl, welche Sicherheit, welche Fülle würde er in ihr Leben bringen!
Sie sah ihn verstohlen an. Groß, geradeheraus, herzlich, manchmal vielleicht ein wenig brutal, andererseits aber auch liebenswürdig und rücksichtsvoll. Er war kein Gentleman. Ihre Mutter wäre von ihm entsetzt gewesen. Mrs. Brummegan hätte ihn geschnitten, es sei denn, jemand hätte sie rechtzeitig über seinen Wohlstand in Kenntnis gesetzt. Miss Pettigrews Vater hätte ihn gewiss nicht in den Kreis seiner engen Freunde aufgenommen. Sie trat ihre Würde als wohlerzogene Dame mit Füßen, indem sie sich seine Aufmerksamkeiten gefallen ließ, aber sie war an einem einzigen kurzen Tag so tief gesunken, dass es sie schlicht nicht kümmerte, ob er vulgär war oder nicht.
Joes ritterlich um sie gelegter Arm war nun eindeutig zu einer warmen, behaglichen Umarmung geworden. Miss Pettigrew, es lässt sich nicht anders sagen, kuschelte sich hinein wie eine Katze. Sie war glücklich und schämte sich kein bisschen.
Draußen ging der Regen in scheußliche nasskalte Graupelschauer über, die der Wind an ein Fenster des Taxis wehte. Warm und sicher wie in Abrahams Schoß, sah Miss Pettigrew hinaus.
»Sie hatten ganz recht«, sagte sie. »In einer solchen Nacht ist man nicht gern draußen.«
»Da holt man sich den Tod«, pflichtete Joe bei.
»Vor allem in diesen modernen Abendkleidern«, sagte Miss Pettigrew.
»Sehr reizvoll«, sagte Joe galant, »aber völlig unvernünftig.«
»Ein Kleidungsstück allein wärmt einfach nicht«, bemerkte Miss Pettigrew.
»Wir Männer müssen auch Seide tragen«, sagte Joe finster.
»Wolle«, sagte Miss Pettigrew. »Mir ist gleich, was die Leute sagen. Im Winter ist Wolle doch immer noch das Beste.«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung«, sagte Joe feurig. Sie hatten ein ungemein wichtiges Thema angeschnitten.
»Aber die jungen Mädchen!« Miss Pettigrew schüttelte den Kopf. »Da muss es um jeden Preis Seide sein. Nicht die Spur von Wärme. Es ist mir ein Rätsel, dass sie nicht alle an Lungenentzündung sterben. Und sie wollen einfach nicht begreifen, dass sie mit Wolle besser aussehen. Wenn einem rundum warm ist, strahlt auch das Gesicht. Wenn einem kalt ist, sieht man verkniffen aus und hat eine rote Nase.«
»Was ist mit den Männern?«, fragte Joe düster. »Ich persönlich bin an Wolle gewöhnt. Ich bin damit aufgewachsen. Meine Mutter bestand auf Wolle. Ich habe nicht das Geringste gegen meine wollenen Hemden und Unterhosen einzuwenden. Aber wehe, ich ziehe sie an! Kein Gedanke.
Die Damen würden mich für einen komischen alten Kauz halten. Sie finden, ich sollte Seide tragen, so wie sie. Ich würde schamrot werden, wenn sie mich in Wollunterzeug ertappten.«
»Ich nehme an«, sagte Miss Pettigrew verächtlich, »Sie sprechen von den jungen Dingern, die Ihnen so am Herzen liegen. Was sind Sie für ein alberner Kerl. Bedenken Sie doch, wie alt Sie sind. Nein. Ich habe nicht vor, Ihnen Honig ums Maul zu schmieren. Sie sind nun einmal kein junger Mann mehr. Sie werden Rheumatismus kriegen, wenn Sie heute Nacht nicht stracks nach Hause fahren und von morgen an reinwollene Unterwäsche anziehen. Und ich sage Ihnen noch was, auch wenn es unhöflich klingt. Ob Sie Seide oder Wolle tragen, die jungen Dinger werden sich so oder so nicht in Sie verlieben. Also nehmen Sie lieber Wolle und fühlen sich wohl damit.«
»Könnten Sie es denn?«, fragte Joe.
»Könnte ich was?«
»Sich in mich verlieben?«
Miss Pettigrew wurde rot. Sie wand sich buchstäblich vor Wonne, lächelte fast schon spitzbübisch. So ist es also, wenn man flirtet, dachte sie, überaus angetan. Warum nur hatte sie so lange damit gewartet, diese Freuden auszukosten?
»Ich bin kein junges Ding mehr«, ließ sie zart
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