Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
mir wissen.
»Das Geld an meine Eltern?«, vergewisserte ich mich. Meist vermutete ich, ihn missverstanden zu haben, wenn mir seine Fragen allzu abwegig wirkten. Selten war dies wirklich der Fall.
»Ja. Du hast mir doch erzählt, dass sie beide nicht mehr arbeiten. Da schickst du ihnen doch sicher Geld nach Hause.«
»Ehrlich gesagt: Nein.«
»Echt nicht?«
»Nein.«
Minh schien angestrengt nachzudenken, dann fuhr er fort:
»Warum nicht?«
»Das ist bei uns nicht üblich. Jeder ist für sich selber verantwortlich. Außerdem haben sie selber genug.« Ein diffuses Schamgefühl postierte sich in meinem unteren Rückenmark. Wieso eigentlich? Ich sagte die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Doch Minh legte schon wieder die Stirn in Falten.
»Aber sie sind deine Eltern. Sie haben dir alles ermöglicht.«
»Schickst du denn immer Geld nach Hause?«, versuchte ich mich aus dem Schussfeld zu bringen.
»Natürlich.«
Das Gefühl kroch nun langsam die Wirbelsäule hoch. Ich wusste, dass Minh bei »Viet Duc Advertising« nur 150 Dollar im Monat verdiente. Ein Bruchteil meines Gehalts und meiner unqualifizierten Einschätzung nach selbst für einen Einheimischen viel zu wenig, um über die Runden zu kommen.
Ich wusste schon vorher, dass mich seine Antwort verblüffen würde, trotzdem konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen, welcher Betrag alle vier Wochen bei seinen Eltern aufschlug.
»Fünfzig Dollar.«
Mir fiel nichts Besseres ein, als die Treppe nach unten zu stapfen, ein frisches Bier aus dem Kühlschrank zu fischen, Zigaretten einzustecken und, zurück auf der Dachterrasse, beides wortlos vor ihm zu drapieren.
Während er ein Feuerzeug zückte und sich eine ansteckte, gab Minh sich weiter seinen Gedanken hin.
»Ihr Westler seid eigenartig«, sagte er schließlich und starrte gedankenverloren dem Rauch hinterher. Dann drehte er seinen Kopf und grinste mich schelmisch an: »Aber auch verdammt interessant.«
Geboren in der Phase des Babybooms. Deutsche Mittelstandsfamilie. Ein Bruder. Behütetes Elternhaus. Blockflötenunterricht. Fußballverein. In den Ferien an die Nordsee. Abitur. Abgebrochenes Philosophiestudium. Abgeschlossenes Designstudium. Rucksackreisen. Arbeit. Wechselnde Freundinnen und Jobs.
Und ausgerechnet ich werde als eigenartig und interessant bezeichnet?
Sich selbst fand Minh natürlich ebenso normal wie den Vorschlag, den er wenig später an mich richtete: »Wollen wir Hund essen gehen? Oder vielleicht lieber Schlange?«
Beides galt als Delikatesse, doch ich hatte mich bisher erfolgreich darum gedrückt, mit einem dieser Tiere kulinarische Bekanntschaft zu machen. Diese Gnadenfrist tickerte nun dem Ende entgegen. Also kurz beide Übel in die Waagschale geworfen und ausgependelt. Schnell suchte der Zeiger seine Richtung: Hunden kann ich schon im lebenden Zustand nichts abgewinnen. Zu Gulasch verarbeitet auf meinem Teller liegend, würden sie einen nur unwesentlich sympathischeren Eindruck auf mich machen. Da wirkte ein deftiger Schlangen-Eintopf schon verlockender. Und zu guter Letzt: So lange mich niemand zwingen würde, widerwärtig stinkende, vergorene Schrimppaste zu schlecken oder Vogelembryos roh aus dem Ei zu löffeln, war ich mit dem Speiseplan weitestgehend zufrieden.
Dachte ich zumindest. Denn mir war nicht klar, was da auf mich zukam: Kurz nachdem wir Platz genommen haben, rückte ein Kellnerduo an, das mit einem Stab eine lebendige Schlange in Richtung unseres Tisches gängelte. Wir beäugten das Reptil, ich eher skeptisch, Minh hingegen kompetent. Dann nickte er den Kellnern kurz zu. Offenbar war dies das Zeichen für sie, ihres Amtes zu walten und der Natter in Sekundenschnelle das Genick zu brechen. Schon hielt einer der Kellner das tote Tier am Kopf fest und ließ es gen Boden baumeln. Der andere zückte ein kurzes Messer und schlitzte den Leib der Länge nach auf. Blut schwallte aus dem schlaffen Körper. Doch kein Tropfen besudelte den Boden des Restaurants, denn es wurde geschickt in einem Krug aufgefangen.
Von dieser Szenerie abgelenkt, war mir entgangen, dass inzwischen ein Schnapsglas auf dem Tisch vor mir bereit stand.
Der Inhalt? Schlangenschnaps.
Die Füllmenge? Eher spärlich.
Ein Grund, sich zu beschweren? Nein. Denn kurz darauf wurde das Glas auch schon bis zum Rand aufgefüllt.
Ein Grund zur Freude? Jein, denn es wurde das soeben frisch abgezapfte Blut nachgegossen - bis ein 50/50-Blut-Schnaps-Gesöff vor mir stand. Widerwärtig. Aber es »macht
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