Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
Fehlanzeige. Über das Thema wollte sich Minh wohl ausschweigen. Doch er hatte nicht mit meiner unsensiblen, unasiatischen, undiplomatischen Art gerechnet, nachzubohren.
»Ihre Eltern sind dagegen«, ergab er sich schließlich. »Sie glauben, dass ich ihr nicht genug bieten kann.«
Die Worte eines Mannes, der regelmäßig ein Drittel seines Gehalts an seine Eltern schickt.
Nachdem der letzte Rest der Schlange verspeist war, entschlossen wir uns aufzubrechen. Ernsthaft gemeinte Versuche meinerseits, dem Ober das Geld aufzuzwingen, waren vergebens. Minh schrie auf und drückte mit entschlossener Geste meine scheinbewehrte Hand aus der Reichweite des Kellners. Er wollte wohl ein Statement setzen.
Wenig später pflügten wir auf unseren Motorrädern ziellos durch das Dunkel der angebrochenen Nacht. Übrigens eines der großartigsten Erlebnisse, das einem zwischen Hanoi und Saigon widerfahren kann (neben einer Kopfmassage beim Friseur und dem Vertilgen von frischen Schrimps mit Salz-Pfeffer-Limetten-Paste). Zumindest die Seitenstraßen sind von der Last des Verkehrs befreit. Nur vereinzelt knattert ein einsamer Roller vorbei. Der Staub hat sich gelegt, die Hitze ist einer angenehmen Temperatur gewichen. Frisch, aber doch warm. Ein dünnes T-Shirt ist gerade das richtige Kleidungsstück. Und es gibt Millionen spannender Dinge zu entdecken, die sonst im Chaos des Tages verborgen bleiben.
Minh schloss zu mir auf.
»Komm, wir gehen zum Karaoke!«
Um diese Zeit? Müdigkeit breitete sich in meinem Körper aus, doch mein Geist war hellwach und begierig darauf zu erfahren, welche Kuriositäten der Abend noch bereit hielt, also stimmte ich zu.
Der erste Laden, den wir ansteuerten, hatte seine Pforten schon geschlossen. Beim nächsten war der Putztrupp bereits unterwegs, doch glücklicherweise stand der Besitzer persönlich hinterm Tresen, witterte einen späten Geldregen und wies seine Angestellten an, uns zu einem Zimmer zu führen.
Asiaten lächeln die ganze Zeit und zeigen nie ihre wahren Gefühle? Weit gefehlt! Wortlos und mürrisch führte uns der Bedienstete durch die langen Gänge des Gebäudes, bis wir den muffigsten Raum erreichten, den der Sangestempel zu bieten hatte. Wir hatten wohl gerade jemandem den Feierabend verdorben.
Innen das altbekannte Bild: Ein U-förmig angeordnetes, durchgesessenes Sofa. In der Mitte ein Couchtisch, auf dem Mikros und ein paar Ordner mit den Songlisten lagen. An der Stirnseite ein Fernseher. Anschalten, kurzer Soundcheck.
»Trinken?« Das erste Wort, das über die Lippen des Miesepeters kam - der sich anschließend verzog, während wir uns bereits die Fernbedienung griffen und die ersten Songnummern in die Karaokeanlage einspeicherten.
Diese wurden auf dem Bildschirm eingeblendet:
7710 (Minhs Auswahl)
2953 (meine Auswahl)
7710 (Minhs Auswahl)
7710 (Minhs Auswahl)
8944 (meine Auswahl)
7710 (Minhs Auswahl)
»Was soll das?«
»Was?«
»Du tippst immer die gleiche Nummer ein.«
»Ich will halt nur dieses eine Lied singen.«
Jetzt war er völlig durchgedreht. Nicht nur, dass er seit drei Jahren noch keinen Sex mit seiner Freundin hatte, dass er ein Drittel seines mageren Gehalts an seine Eltern schickte, dass er mir schlagende Schlangenherzen in den Rachen zwängte -
nein, er musste auch noch mit mir alleine zu nachtschlafender Zeit einen Karaoketempel aufsuchen, um den immergleichen Song zu singen.
Gerade wollte ich Minh darauf ansprechen, als schon die Musik ansetzte.
»Don’t leave me in all this pain, Don’t leave me out in the rain.«
Ich seufzte. Der Kellner kam und stellte wortlos unsere Biere hin. Wir orderten gleich nach.
»Un-break my heart. Say you’ll love me again.«
Er sang. Ich sang. Er sang. Wir orderten nach. Noch einmal und noch einmal und noch einmal. Ich kann unmöglich sagen, wie oft ich in dieser Nacht die Toni-Braxton-Schnulze hören musste - es machte mir längst nichts mehr aus. Mittlerweile hatte sogar der Besitzer einmal durch das kleine Glasfenster in der Türe geäugt. Offensichtlich wollte nun auch er lieber nach Hause, wagte aber nicht, uns einfach vor die Tür zu setzen. Wir versüßten ihm das Warten, indem wir fleißig weiter Drinks bestellten.
»Undo this hurt you caused when you walked out the door and walked out of my life.«
Trotz der Trance, in dem sich mein Großhirn mittlerweile befand, registrierte es plötzlich ominöse Vorkommnisse: Ich spürte eine Hand auf dem Oberschenkel - und es war nicht meine. Ich blickte an
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