Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
mir herunter. Keine Frage: Da ruhte eine Hand auf meinem Bein - und am anderen Ende des dazugehörigen Armes hing eindeutig der Körper von Minh.
Leichte Irritation meinerseits.
War er schwul? Oder hatte er vorhin zu viel von dem Schlangen-Blut-Schnaps getrunken und wusste nun gar nicht, wohin mit seiner Libido?
»Un-break my heart, Sweet darlin’. Without you I just can’t go on.«
Ich sah Minh an. Das Mikro zitterte leicht vor seinen Lippen. Er schien mich gar nicht wahrzunehmen. Seine Hand lag noch auf meinem Bein, doch sein flehentlicher Blick war auf etwas Unsichtbares gerichtet, das weit hinter der Mattscheibe des Fernsehers lag.
Meine kurzzeitige Anspannung löste sich.
Es war wohl seine Art, mir mitzuteilen, dass wir von nun an Freunde waren.
8.
Mein eigenes Liebesleben sah lange Zeit nicht besser aus als das meines Freundes. Zumindest in den ersten Monaten saß ich dem landesweit perfekt inszenierten Anschein auf, es gäbe die lokalen Schönheiten nur in zwei Varianten: als Hure oder Heilige. Auf beides wollte ich mich nicht einlassen, und so glaubte ich das große Los gezogen zu haben, als mich im »Apocalypse Now« eine Frau ansprach, die in keine dieser Kategorien passte. Das Fehlen von zentimeterdickem Make-up und aufforderndem »We go hotel together? Happy, happy!« machte klar, dass sie nicht zu den Käuflichen gehörte. Andererseits flirtete sie zu später Stunde einen Mann in einer Disko an, was wiederum nicht dem Image des zurückhaltend-gesitteten Mädchens entsprach, das die Tradition als Ideal vorschrieb.
Mit einem Schuss Naivität ordnete ich Huong - der Name, unter dem sie sich mir vorstellte - dort ein, wo es mir am besten passte: In der Kategorie »Schöne Frauen, die sich von den beengenden Moralvorstellungen ihres Landes emanzipiert haben und gerne westlichem Lifestyle frönen«. Dabei wollte ich ihr nur zu gerne behilflich sein, vor allem, weil sich der positive erste Eindruck im Gespräch noch verstärkte: Huong war charmant, humorvoll, gebildet und trat mit einer Weltgewandtheit auf, die man unter den übrigen Söhnen und Töchtern des lange isolierten Landes selten fand. Sogar das Ausland hatte sie schon bereist, Thailand und die Philippinen auf Businesstrips
kennengelernt. Dass Huong mir mehr über das Nachtleben von Bangkok und Manila erzählen konnte als über die Art ihres Geschäfts, hätte mich vielleicht stutzig machen müssen. Doch ich wollte es nicht sehen. Konnte es nicht sehen. War von der Aussicht auf Wärme und einen Kuss geblendet.
Huong beherrschte das Spiel perfekt. Das Locken, das kaum merkliche Pendeln zwischen Annäherung und Ablehnung, die subtilen Versprechungen eines guten Flirts. Das »Meine Nummer kriegst du nicht, aber gib mir deine«. Als wir in den frühen Morgenstunden aus dem »Apocalypse Now« hinausgefegt wurden, schwang sie sich mit einem nonchalanten »Dann begleite ich dich noch ein kleines Stück« auf ihren Roller. Seite an Seite fuhren wir durch die spärlich erleuchteten Alleen, und mit jedem Meter, den sich das »kleine Stück« hinzog, wuchsen meine Hoffnungen auf ein ebenso grandioses wie unerwartetes Finale des Abends.
Und wirklich: Als ich vor meinem Haus anhielt, war Huong immer noch bei mir. Sie stieg ebenfalls von ihrer Honda und musterte abschätzend das Gebäude, während ich das Tor zum Hof aufschloss.
»Willst du mit reinkommen?«
Ich wollte souverän wirken, war aber innerlich zum Zerreißen gespannt. Huong gab sich ebenfalls unsicher. Ihr erstes »Nein« klang fast wie ein »Ja«. Nach einer kurzen Pause noch einmal, entschlossener: »Nein«, gefolgt von einem kaum wahrnehmbaren »Heute noch nicht«. Mit einem Blick, als ob sie bald wiederkommen würde, sah sie noch einmal an meinem Haus hoch. Dann hauchte sie mir einen Kuss auf die geschlossenen Lippen, stieg auf ihr Motorrad und verschwand in der Dunkelheit.
Mein Körper vibrierte. Heute noch nicht? Heute noch
nicht? Das hieß: Morgen, übermorgen, nächste Woche. Egal. Hauptsache, es würde passieren. Ich tigerte durchs Haus, durch dessen Fenster bereits das erste Morgenlicht dämmerte, fischte noch eine Dose Bier aus dem Kühlschrank und malte mir Szenen aus, die beim nächsten Treffen mit Huong vielleicht schon Realität werden würden. Obwohl bereits die ersten Anzeichen des neuen Tages Saigons Straßen belebten, fand ich vor Aufregung nur schwer in den Schlaf.
Wie sieht der perfekte Morgen aus? Sonnenstrahlen, die einen in der Nase kitzeln. Eine Tasse
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