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Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman

Titel: Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tausch
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Männer stark«, wie Minh versicherte. »Am Ende hat doch alles was für sich«, tröstete ich mich und stürzte die leicht sämige Flüssigkeit in einem Zug hinunter.
    Schütteln. Mund verziehen. Dann hieb ich das leere Glas wie ein jugendlicher Kampftrinker auf den Tisch - und hätte dabei beinahe die kleine Untertasse zerdeppert, die plötzlich dortstand. Auf dieser lag ein daumennagelgroßes, schleimiges Etwas, das sich zuckend ausdehnte und wieder zusammenfiel.

    »Was ist das?«, fragte ich Minh mit einem Anflug von Horror.
    Poch-poch, poch-poch …
    Er grinste - und sah mir offenbar an, dass ich die Antwort längst wusste.
    »Das«, er legte eine Pause ein und blähte seine schmächtige Brust mit zischendem Lufteinsaugen maximal auf, »bringt dich erst so richtig auf Touren!«
    Poch-poch, poch-poch …
    »Es ist das Herz. Und das kommt hier rein.« Er griff die glitschige Kugel geschickt mit seinen Stäbchen und versenkte sie prompt in meinem Schnapsglas, das der Kellner inzwischen wieder aufgefüllt hatte.
    Poch-poch, poch-poch …
    Auf der dunkelroten Oberfläche des Getränks bildeten sich rhythmisch kleine Wellen.
    »Los! Du musst trinken, solange es noch schlägt!«
    Schon prostete Minh mir zu. Wie in Trance fasste ich das Glas, legte den Kopf in den Nacken und schüttete den Inhalt ohne Abzusetzen in mich. Die Flüssigkeit bahnte sich ihren Weg durch meine Innereien. Mit nervös aufflackernder Erleichterung stellte ich fest, dass ich dem blutig scharfen Geschmack diesmal besser standhalten konnte als beim ersten Mal. Doch dann zwängte sich endlose Sekunden lang ein pulsierender Knubbel durch meine Speiseröhre hinab in den Magen.
    Poch-poch, poch-poch …
    Poch-poch …
    Poch …
    …

    Die Manneskraft beherrschte auch unser Gespräch während des Essens. Minh tastete sich zwar nur langsam an das Thema heran, konnte aber seine geballte Neugierde darüber, wie sich das Liebesleben eines Westlers gestaltet, kaum verbergen. Ob meine persönlichen Erfahrungen als Blaupause herhalten konnten? Ich blieb lieber im Vagen, doch auch allgemein gehaltene Erzählungen von vorehelichem Zusammenwohnen und One-Night-Stands hinterließen Spuren der Verblüffung auf seinem Gesicht. Ein Ausdruck, der sich kurz darauf ins Wehmütige wandelte.
    »Das wäre hier unvorstellbar. Klar, bei den jungen Leuten ändert sich gerade vieles, aber eigentlich sind Vietnamesen sehr konservativ und traditionell.«
    Er stockte, doch ich sagte nichts, denn es war klar, dass er weiterreden wollte.
    »Ich habe eine Freundin. Wir sind jetzt beide dreißig und schon seit drei Jahren zusammen. Aber wir haben noch nie … Ich meine: wir haben noch nie … Ich habe noch nie bei ihr übernachtet.«
    Auch Minh wollte mit der Klarheit lieber Verstecken spielen - aber ich verstand die Andeutung.
    »Warum das denn? Du willst es doch, oder?«, fragte ich.
    »Natürlich. Aber ich glaube, sie nicht.«
    »Hast du sie denn schon mal gefragt?«
    »Nein, das würde ich nie machen.«
    »Oh mein Gott!«, rief ich hitzig aus. »Du glaubst , sie will es nicht? Ich weiß, dass die Dinge zwischen Mann und Frau hier anders laufen. Aber kannst du denn nicht behutsam das Thema anschneiden? Möglicherweise liegt sie seit drei Jahren jeden Abend einsam im Bett und betet darum, dass du endlich den ersten Schritt machst.«

    Ich schob mir noch ein Stück Schlange in den Mund und biss ungeduldig darauf herum, um die gummiartige Konsistenz klein zu kriegen.
    »Das verstehst du nicht. Sie ist sehr traditionell. Sie würde nie mit einem Mann schlafen, ohne verheiratet zu sein. Und ich? Ich würde keine Frau heiraten, die es schon mal mit einem anderen gemacht hat.«
    »Ich verstehe schon«, sagte ich widerwillig. Natürlich wusste ich um die gesellschaftlichen Zwänge, die hier fast das gesamte Dasein durchdrangen. Aber ich wusste auch, dass sich das wahre Leben in einer gigantischen Grauzone abspielte, die sich unter dem mühsam aufrechterhaltenen Anschein verbarg. Darum vergewisserte ich mich bei Minh:
    »Aber ihr seid alle so, oder?«
    »Nicht alle. Aber die meisten.«
    »Dann kann ich also noch für mich hoffen.«
    Minh nickte und lachte resigniert, so wie jemand, der für sich keine Chancen mehr sieht. Doch genau da wollte ich nachhaken:
    »Warum heiratet ihr nicht? Oder willst du gar nicht?«
    Jetzt kaute Minh endlos lange auf einem Stück Schlange herum, während sich sein Gesicht mehr und mehr bewölkte.
    »Doch, aber das geht nicht.«
    Nähere Erläuterungen?

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