Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
leicht befangenes Abtasten. Lien versucht, den Gegner durch harmlose, kleine Attacken auf Distanz zu halten. Aber das ist alles nur Vorgeplänkel.
2. Runde: So schnell geht’s! Lien hat einen Treffer kassiert und geht nun in die Defensive. Ein andauerndes Ausweichen und Zurückziehen. Selten eigene Aktionen.
3. Runde: Ein Aufbäumen. Lien jetzt wieder in der Vorwärtsbewegung. Der Ton wird aggressiver.
4. Runde: Nun sinkt auf beiden Seiten die Deckung. Es herrscht offener Schlagabtausch, die Gegner gehen in den Clinch.
5. Runde: Was ist das? Schweigen. Ein verdammt langes Schweigen. Wird da gerade jemand angezählt?
6. Runde: Und noch eine unerwartete Wendung! Die Gegner scheinen sich - wenn auch wankend - zu streicheln und Zärtlichkeiten statt Gemeinheiten zuzuflüstern. Ein Skandal! Wie werden die Punktrichter reagieren?
Mit Spannung erwarten wir das Ergebnis. Unentschieden! Es ist ein Unentschieden!
Zunächst saß Lien wie versteinert da. Sie würdigte mich keines Blickes und sah stumm aufs Meer hinaus. Doch ich bezweifelte, dass das, was sich auf ihrer Netzhaut abzeichnete, auch Eingang in ihr Bewusstsein fand. Dann stand sie wortlos auf und ging fort.
Ich schaute ihr hinterher, wie sie den Strand entlangging. Es brauchte keine großartige Analyse, um festzustellen, dass hier etwas gründlich falschlief - und mir war schon klar, womit ich es zu tun bekommen würde. Was fehlte, waren nur noch die Details (welche meine Vorstellungen am Ende bei weitem überstiegen. Aber das wusste ich in diesem Augenblick zum Glück noch nicht).
Es dauerte länger als erwartet, bis Lien wieder zurückkam. Der Himmel war bereits dunkel. Ich saß rauchend auf der Terrasse unseres Bungalows, als sich ihr weißes T-Shirt gegen die Finsternis des Abends und des Meeres abzeichnete. Bei mir angekommen, öffnete sie sogar den Mund - doch es kam nur ein schnödes »Ich gehe ins Bett« heraus.
Warum ich sie nicht schüttelte und rüttelte, bis sie die Karten aufdeckte? Es war wohl die Angst vor der Wahrheit, die mich schweigen ließ. Oder vielmehr: Die Angst vor der ausgesprochenen Wahrheit, die, einmal in Worte gefasst, unwiderruflich zwischen uns stehen würde. Und wenn ich schon wusste, dass vor mir ein Abgrund lag, dann wollte ich wenigstens selber bestimmen, wie und wann ich springe.
Also schob ich Einzelschichten auf der Terrasse. Kurzzeitig überlegte ich sogar, die Nacht auf dem Liegestuhl im Freien zu verbringen, aber das kam mir dann auch albern vor. Schließlich ging ich in den Bungalow und legte mich neben Lien aufs Bett. Die tat, als ob sie schliefe, war aber in Wahrheit damit beschäftigt, eine so kalte Mauer um sich herum aufzubauen, dass ich vor lauter Schauder nicht wagte, sie zu berühren.
Selbst die schlafloseste Nacht findet einmal ein Ende. Und so konnten unbeteiligte Beobachter am nächsten Morgen beim Frühstück eine beklagenswerte Szene verfolgen: Zwei Menschen,
die sich offenkundig nichts zu sagen hatten, die lustlos in ihrem Fruchtsalat herumstocherten und schweigend in verschiedene Richtungen sahen - bis der Mann endlich das Wort erhob, auf demonstrativen Widerwillen stieß, aber so lange insistierte, bis ein Gespräch in Gang kam.
Als das Frühstücksbuffet abgeräumt wurde, blieb das Pärchen unbeeindruckt von den Aufräumarbeiten der Restaurantbelegschaft weiter am Tisch sitzen. Die übrigen Gäste verkrümelten sich an den Strand oder an den Pool. Wer die beiden von seiner Liege aus weiter im Visier hatte, konnte feststellen, dass die Unterhaltung schleppend und träge voranschritt und kein Lächeln je über die Lippen kam. Plötzlich: Erregung! Eskalation! Gestenreiche Streiterei! Dann sprang der Mann auf und zog ab. Rauschte mit einer Visage, die aus ihrer Halterung gebrochen war, einmal quer durch das Resort, am Pool vorbei und verkroch sich in seinem Bungalow. Unterdessen saß die Frau zusammengesunken da, heulte Rotz und Wasser, griff sich eine der frisch eingedeckten Servietten und schnaubte so kräftig hinein, dass sie damit sogar das Rauschen der Wellen übertönte.
Es war nervenaufreibend, Lien jedes Detail zu entreißen. Klar: Sie hatte einen anderen Typen. Das konnte mich nach dem Auftritt vom Vorabend nicht mehr wirklich überraschen. Und ja: Er war Japaner. Dazu einer, der all die Insignien mitbrachte, die bei ihr so hoch im Kurs standen. Erfolg. Macht. Geld. Das musste mir Lien nicht einmal erzählen, denn ich hatte schon viel von Ebi-san, meinem Nebenbuhler, gehört.
Weitere Kostenlose Bücher