Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
feststellen, dass sie ihres noch gar nicht angerührt hatte.
»Besser nicht. Ich vertrage nichts. Wenn ich nur einen Tropfen Alkohol trinke, benehme ich mich gleich so wie du dich auf Iains Party. Das möchte ich dir ersparen.«
»Dann stände es immerhin unentschieden. Das wäre nur fair.«
»Ja, und unsere erste gemeinsame Nacht wäre völlig ruiniert.«
»So schlimm kann es doch gar nicht sein«, ermunterte ich sie. »Zu so einem Abend gehört einfach ein guter Roter. Komm, probier doch mal!«
Lien schnüffelte in ihr Glas.
»Riecht sehr gut!«
»Das ist auch ein richtig guter. Ein Spanier. War gar nicht so leicht, den in Vietnam zu bekommen.«
Sie setzte das Glas vorsichtig an die Lippen. Ihr Gesicht hatte sich in eine Faltenwüste verwandelt, ganz als ob sie gezwungen wäre, lebendige Maden zu verspeisen (wobei das hier vermutlich schon wieder als Delikatesse galt). Dann sog sie eine mikroskopisch kleine Menge Flüssigkeit ein - gerade genug, um die Lippen zu benetzen -, schluckte, ließ das Glas sinken und machte »Aaaaaaaaahhh!« wie ein Kind, das an einem Sommertag eine eiskalte Cola geleert hat.
»Lecker!«
»Du darfst ruhig einen größeren Schluck nehmen.«
Diesmal lag ihr Gesicht nicht in Falten, als sie das Glas ansetzte.
»Wunderbar!«
Ich fühlte mich bemüßigt, einen Exkurs in Sachen Rotwein zu halten, redete über Trauben, Gebiete und Geschmacksnuancen, bis ich plötzlich ein Geräusch hörte. Ein Schnarchen, das aus der Tiefe der Nacht zu kommen schien. Ich blickte auf Lien, die an meine Seite gekuschelt eingeschlafen war.
Normalerweise passt zwischen den Satz »Ich vertrage keinen Alkohol« und die Realität mindestens ein Glas Wein. Doch Lien hatte mit ihrer Ankündigung wirklich recht: Kaum zwei Schluck intus, hing ihr Körper schlaff an meinem. Ihr Atem roch nach Fusel, und ihr Kopf erstrahlte selbst im Halbdunkel der Veranda hochrot.
Weckdienst. Leichtes Rütteln, leichtes Schütteln.
Lien schnaufte, prustete und linste aus halbgeöffneten Augen in die Nacht hinaus. Als sie schließlich meine Schemen wahrnahm, stammelte sie eine unerwartete Forderung:
»Ich will noch mehr Wein!«
Lien merkte selber, dass sie nicht durch einwandfreie Artikulation gepunktet hatte, und brachte ihr Anliegen in einem zweiten Versuch verknappt auf den Punkt:
»Los! Wein!«
»Nix da! Du bist ja schon betrunken. Wir gehen jetzt besser ins Bett.«
»Ich bin nicht betrunken«, lallte Lien trotzig. »Ich will noch Wein trinken!«
Doch während sie diese Worte sprach, entwich die letzte Kraft aus ihr. Sie sackte halb auf mir liegend zusammen und fiel erneut in einen Dämmerschlaf. Mühsam befreite ich mich aus dem Liegestuhl, hob ihren leichten Körper hoch und trug sie in den Bungalow. Auf dem Bett schälte ich sie aus ihrer Kleidung und deckte sie zu. Dann löschte ich das Licht und
kuschelte mich an sie. Kurz darauf drang ein mattes Murmeln an mein Ohr. Ich horchte angestrengt, denn was Lien von sich gab, war kaum noch wahrnehmbar:
»Mehr Wein! Und … und Sex!«
»Ja, mein Schatz! Sollst du beides haben - aber nicht mehr heute!«
Damit schlief sie ein, während ich ins Dunkel starrte und dem Rauschen der Wellen lauschte, die draußen an den Strand schwappten.
Ein neuer Tag. Sonne. Meer. Strand. Sex. Swimmingpool. Berge von Shrimps. Frische Kokosnuss (Lien). Campari Orange (ich).
Ein Paradies.
Das man leider per Telefon direkt aus der Hölle anrufen konnte.
Dass Lien ihr Handy überhaupt angestellt hatte, war vermutlich nur ein Versehen. Erst als es am späten Nachmittag klingelte, fiel mir auf, dass sie noch nie einen Anruf erhalten hatte, wenn wir zusammen waren. Offenbar ging sie in dieser Zeit regelmäßig vom Netz. Tat sie dies, um unsere traute Zweisamkeit nicht zu stören? Wohl kaum. Den wahren Grund dafür erahnte ich, als Lien sich - selber überrascht - von ihrer Strandliege beugte, um nach dem Gebimmel in ihrer Tasche zu greifen, ihr beim Blick aufs Display die Gesichtszüge gefroren und sie anfing zu sprechen.
»Gen ki!«
Das war definitiv nicht Vietnamesisch. Aber ich hatte die Sprache schon einmal aus ihrem Munde gehört. Damals, als Lien im Taxi meinem Schlüssel nachspürte, konnte ich sie noch nicht richtig einordnen. Doch in diesem Augenblick
hätte ich alles darauf verwettet, dass Lien gerade Japanisch sprach.
Natürlich habe ich kein Wort verstanden. Dennoch habe ich einen relativ klaren Eindruck des verbalen Schlagabtauschs gewonnen.
1. Runde: Zunächst ein
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