Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
lange. Das lag zum einen daran, dass der größte vietnamesische Geldschein zu jener Zeit gerade mal drei Dollar wert war, zum anderen, dass ich meine Gesundheit und mein Fortleben als relativ kostbar einstufte. Während der Stumme unaufhörlich durch die Scheine flippte, zeichnete sich auf seinem Gesicht zum ersten Mal die Andeutung eines Lächelns ab. Dann trat er hervor, nestelte eine zerdrückte Zigarettenschachtel aus seiner Uniformtasche und bot mir eine an. Da sage noch mal einer, dass man Freundschaft nicht kaufen kann.
Der andere, höflich wie eh und je, ergriff daraufhin das Wort.
»Kein Problem. Seien Sie beruhigt. Die Sicherheit unserer Mitbürger liegt uns sehr am Herzen.«
Gerade wollte ich mich verabschieden, als er hinzufügte:
»Wie lange wollen Sie unseren Service voraussichtlich in Anspruch nehmen?«
Bei dem Umfang des Bündels hatte ich eigentlich eher an eine Einmalzahlung gedacht als an ein Abonnement. Auf keinen Fall wollte ich jeden Monat ein Drittel meines Gehalts
über die Straße tragen. Aber ich antwortete nur: »Das überlege ich mir noch« und hinkte wieder heim.
Wie gesagt: Immer schön situationselastisch bleiben.
Nach einer Woche sah ich zwar noch furchterregend aus, konnte mich aber im Großen und Ganzen wieder unter die Funktionstüchtigen dieser Welt einreihen. Trotzdem wollte Lien an diesem Abend lieber bei mir zu Hause essen. Dazu hatte sie nicht wie üblich Leckereien von unterwegs mitgebracht, sondern selber etwas vorbereitet.
»Karamellisiertes Schweinefleisch im Tontopf. Das magst du doch.«
»Ich liebe es. Aber wie kommt es, dass du mal kochst? Du bist doch die einzige Frau Vietnams, die davon keine Ahnung hat. Das hast du selber gesagt …«
»Ich wollte dir eine Freude machen. Meine Tante hat mir gezeigt, wie es geht.«
Sie griff in ihre Tasche und beförderte einige Tüten und einen der typischen, kleinen Tontöpfe heraus, die für dieses Gericht verwendet werden. Aus der Küche holte sie ein Schälchen, füllte es mit Reis und garnierte diesen mit Fleischstückchen und Sauce aus dem Topf. Dann reichte sie es mir. Überrascht schaute ich sie an.
»Und du? Isst du gar nichts?«
»Ich habe nicht so viel Hunger.«
»Oder Angst vor der eigenen Kreation?«
»Nun probier schon!«
Gespannt verfolgte Lien, wie ich mir mit den Stäbchen ein Stück Fleisch und etwas Reis pickte und anfing zu kauen.
Einmal.
Zweimal.
Irgendwie merkwürdig.
Dann traf mich der Hammer. Unerwartet und plötzlich.
Ein Würgereiz setzte ein.
Angestrengt bemühte ich mich, meine Gesichtszüge zu kontrollieren. Erfolglos. Sie verzogen sich zur Fratze. Ein letzter, verzweifelter Versuch, Anstand zu bewahren, scheiterte: Mit der entsprechenden akustischen Untermalung spuckte ich den Bissen zurück ins Schälchen.
Ein Glas Wasser! Schnell!
Lien wirkte weder überrascht noch beleidigt. Sie lächelte mich weiter ungerührt an und fragte fast beiläufig:
»Stimmt was nicht?«
»Böah! Bööaaah!«
Ich goss mir ein zweites Glas Wasser rein.
»Was ist mit dir?«
»Tut mir leid. Aber …«, noch ein Schluck, »aber das ist einfach nur widerwärtig!«
»So?«, tat Lien ahnungslos. »Was stimmt denn damit nicht?«
»Das zieht einem echt die Schuhe aus. Das ist einfach nur total … total … salzig!«
»Aha. Total salzig also.«
»Ja. Unglaublich salzig. Du musst eine ganze Packung reingekippt haben.«
»Oh, mein Essen ist unglaublich salzig. Wie konnte das nur passieren?«
Wieso grinste sie so?
Das dritte Glas Wasser verdampfte auf meiner Zunge.
»Es könnte natürlich sein«, fuhr sie in schnippischem Ton fort, »dass mir ein klitzekleines bisschen das Salz ausgerutscht ist.«
Durch den anhaltenden, beißenden Geschmack witterte ich einen warmen Gedanken. Doch bevor ich diesem nachgehen konnte, sprach Lien schon weiter:
»Aus zuverlässiger Quelle habe ich nämlich gehört, dass ein verliebter Koch gerne zu viel Salz ins Essen tut. Und ich bin total verliebt. Unglaublich verliebt. So verliebt, dass es einem glatt die Schuhe auszieht.«
Ihr Gesicht war direkt vor mir. Mein Herz raste.
Der Kuss schmeckte nach Salz. Nach Honig. Nach Champagner. Nach einem neuen Leben.
Als sich unsere Lippen wieder lösten, konnte ich mir ein Lächeln - und einen schmutzigen Gedanken - nicht verkneifen:
»Wenn du so verliebt bist, wird es dir doch nicht nur die Schuhe ausziehen …«
»Natürlich nicht.« Lien begann, langsam mein Hemd aufzuknöpfen. »Die Schuhe sind doch nur der Anfang
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