Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
einer großen Liebe.«
26.
Die Entscheidungsfindung mag bei Vietnamesen von mehr Unwägbarkeiten geprägt sein, als einem gemeinen Westler lieb sein kann. Aber wenn sie sich einer Sache verschrieben haben, dann mit Haut und Haaren. Dann wird nur noch nach vorne geblickt. Natürlich wollte ich von Lien hören, warum sie sich am Ende für mich entschieden hatte - aber ich bekam nicht viel aus ihr heraus.
»In der Zeit, als du verletzt warst, hat Ebi-san mich ständig angerufen und wollte sich mit mir treffen. Er hat auch vor meinem Büro gewartet und hat mich andauernd bedrängt. Aber je mehr er mir zusetzte, desto deutlicher wurde mir, was ich nicht will - und auch, was ich will.«
Eine magere Erklärung, aber immerhin eine mit positivem Ausgang für meine Wenigkeit, weshalb ich mich heimlich freute und ansonsten den Vorhang der Bühne zuzog, auf der Ebi-sans strangulierter Kadaver hing. So hoffte ich zumindest. Bestenfalls hatte Lien ihm klargemacht, dass er keine Chance bei ihr hatte - dann bräuchte er sich auch gar nicht mehr mit mir auseinanderzusetzen. Eine Theorie, die auf zwei sehr dürren Beinen dahergestelzt kam. Aber ehrlich gesagt war ich es leid, mir Sorgen und schlechte Gedanken zu machen, weshalb ich die mir gerade passenden Überzeugungen mit Inbrunst umarmte.
Wenn du in Saigon bist, so tue, was die Saigoner tun lautete
mein neues Motto. Und das hieß für mich, den nächsten Stein aus dem Weg zu räumen, statt auf die Geröllhalde hinter mir zu blicken. Und der vor mir liegende Fels war ein gigantischer Koloss - ein überzeugender Auftritt vor Liens versammelter Verwandtschaft. Denn es ist nun einmal so: Die Liebe einer Vietnamesin gibt es nur in der XXL-Familienpackung - ohne den Segen von Mutter, Onkeln, Tanten, Nichten, Neffen und Nachbarn hätten Lien und ich keine Chancen.
Um der Aufgabe positive Seiten abzugewinnen, versuchte ich das Treffen unter der Devise Kenne deinen Feind zu begreifen. Bevor ich mir also artig den Scheitel kämmte und zu Lien aufbrach, machte ich mich an eine Analyse der Situation.
Welche Gefahren sah die Gegenseite in meinem Auftauchen?
★ »Jeder weiß, dass Ausländer nicht die vietnamesischen Vorstellungen von Tugend und Moral teilen. Wenn Lien mit ihm befreundet ist, verliert sie ihren guten Ruf. Hat er genug von ihr, sucht der Westler das Weite und lässt unsere geliebte Tochter/Nichte/Cousine/Enkelin zurück. Danach ist Lien nicht mehr vermittelbar. Eine Schande für die ganze Familie.«
★ »Sollte der Westler der Ehre Genüge tun und Lien heiraten: Wenn er in sein Land zurückgeht, wird unsere geliebte Tochter/Nichte/Cousine/Enkelin ihm folgen. Wer weiß, in welche Hölle sie gerät? Und wir bleiben einsam und verlassen zurück.«
Welche Vorzüge hatte ich?
★ Gute vietnamesische Sprachkenntnisse - bei Ausländern höchst ungewöhnlich; zeigt Interesse an der heimischen
Kultur; gibt immer Sympathiepunkte; verleitet angetrunkene, männliche Vietnamesen, einem versaute Witze zu erzählen, was wiederum für eine unterschwellige Kumpanei sorgt.
★ Einigermaßen gesicherte Vermögensverhältnisse. Schnöde, aber wahr: Ein Gehalt, welches das 20-fache des landestypischen Durchschnittseinkommens beträgt, ist das Totschlagargument, wenn es darum geht, als potentieller Schwiegersohn zu überzeugen.
Meine Strategie sah wie folgt aus: Die Herzen der weiblichen Familienmitglieder sollten durch freundliche Zurückhaltung, Höflichkeit und die perfekte Beherrschung des komplexen Anredesystems gewonnen werden. Bei den Männern musste ich hingegen auf dicke Hose machen, Trinkfestigkeit beweisen und ein paar anrüchige Zoten anbringen - möglichst noch solche, denen vietnamesische Wortspiele zugrunde lagen.
Ich war also bestmöglich präpariert, und doch fand ich keine Ruhe. Ohne zu wissen, was mich genau erwartete, ging ich in Gedanken immer wieder die vor mir liegende Situation durch. Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto nervöser wurde ich.
Viel zu früh näherte ich mich Liens Haus, fuhr noch drei Mal im Karree und bockte die Vespa schließlich vor einem Friseursalon auf, der sich nur fünfzig Meter von meinem Ziel entfernt befand. Verwundert sah mich der einzige Mitarbeiter des Geschäfts an, als ich eintrat. In diese Gegend verirrte sich sonst sicher nie ein Ausländer.
»Haare schneiden? Kopfmassage?«, fragte er.
»Nein danke. Entschuldigung, aber ich will nur kurz meine Frisur prüfen. Darf ich?« Schon wandte ich mich dem Spiegel zu
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