Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
jetzt am wohlsten tat.
Mit besorgten Mienen fingen die beiden an, meine Wunden zu versorgen, während sie sich aufgeregt über die Geschehnisse austauschten.
»Wuss’e ga’ nich’, dass du Bruce Lee bis’, Minh«, sagte ich anerkennend.
»Was?«
»Du! Bruce Lee!«
Er lachte.
»So ein Quatsch! Aber seit ich vier Jahre alt bin, trainiere ich Vo Viet Nam. Das ist unsere Art von Kung Fu.«
»Wuss’ ich ga’ nich’.«
»Soll auch keiner. Mein Meister sagt immer, es zu beherrschen sei wichtiger, als die Leute wissen zu lassen, dass man es kann. Das provoziert manche nur. Darum geben seine Schüler nicht mit ihren Kampfkünsten an. Aber jetzt haben wir erst mal Wichtigeres zu tun, als uns über Kung Fu zu unterhalten.« Er stand auf. »Deine Nase scheint gebrochen. Wir bringen dich besser in die Klinik. Lien, weißt du, wo die nächste ist?«
Lien lächelte leise in sich hinein, bevor sie antwortete:
»Die ›Family Clinic‹ am Diamond Plaza. Die kennen sich mit Nicks Nase schon aus.«
25.
»Scheiße! Das passt überhaupt nicht! Du weißt, dass wir nächste Woche gleich zwei wichtige Präsentationen haben. Ich brauche alle Mann an Bord. Und vor allem dich!«
»Aber Jürgen! Ich hatte einen Motorradunfall. Jede Bewegung schmerzt. Ich sehe aus, als hätte mich eine Bande Irrer grün und blau geschlagen. Glaub mir: Ich würde auch lieber locker und fröhlich ins Büro gesprungen kommen, als hier im Bett zu liegen.«
Ich hörte ihn schwer durchs Telefon seufzen.
»Verstehe. Aber es ist einfach ein ungünstiger Moment. Wir müssen diese Projekte fertig machen. Dann werde ich mich mal nach jemandem umsehen, der kurzfristig als Ersatz für dich einspringen kann. Aber beeil dich mit dem Gesundwerden, mein Junge!«
Ich muss zugeben: So eilig hatte ich es damit nicht. Ich erinnerte mich an meine Kindheit und an das wohlige Gefühl, wenn ich krank war und meine Mutter mich von oben bis unten verwöhnt hat. Faul im Bett liegen und trotzdem Mitleid, Streicheleinheiten und ein Stück Schokolade kassieren - an den Zustand konnte ich mich trotz gelegentlicher Kopfschmerzen gewöhnen. So erging es mir auch in diesen Tagen. Lien besuchte mich in jeder Mittagspause und an fast jedem Abend. »Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Lügen«, erklärte sie nur knapp ob meiner
Verwunderung darüber, was denn ihre Mutter davon hielt.
»Sehr gut, dann werde ich für weitere außergewöhnliche Umstände sorgen«, flachste ich.
Lien drückte mir lachend einen flüchtigen Kuss auf die Stirn - die einzige Stelle am Kopf, die mir nicht wehtat - und sagte:
»Du bist ein außergewöhnlicher Umstand!«
»Ist das ein Kompliment?«
»Als wir uns kennenlernten, hätte ich das noch nicht so gesehen. Aber heute finde ich, dass es sogar ein sehr großes Kompliment ist.«
Diese Stunden gehörten zu den schönsten, die wir bis dahin gemeinsam erlebt hatten. Und das, obwohl meine stark dezimierten Bewegungsmöglichkeiten viele Formen des Amüsements ausschlossen. Aber eben darin lag der Reiz. Wir verbrachten einfach nur Zeit miteinander; ganz auf den anderen fokussiert, als ob wir uns gerade neu kennenlernen würden. Kein Kuscheln. Kein Knutschen. Kein Sex. Kein Wie geht es weiter? Aber mit dem guten Gefühl im Bauch, dass es einmal dazu kommen würde. Von Ebi redeten wir gar nicht. Meine ramponierten Knochen sprachen für sich.
Sicher sehnte ich mich nach Klarheit. Aber wenn ich in Asien eines (unter Qualen) gelernt habe, dann ist es, immer schön situationselastisch zu bleiben. Denn viele Dinge sind nicht das, was sie zunächst scheinen. Also abwarten. Bloß keinen Fehler machen. Bloß nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Stattdessen: alle Optionen offen halten und schauen, wohin der Hase läuft. Am Ende löst sich vieles von selbst. Die vietnamesische Art der Entscheidungsfindung.
Das Einzige, was ich aus strategischen Gründen tat, war, mit einem gut gefüllten Briefumschlag einmal quer über die Straße zur Polizeistation zu humpeln - und ohne ihn wieder zurück. In den zehn Minuten dazwischen hatte ich meinen beiden Freunden auf der Wache eine detaillierte Beschreibung von Rassel, dem Papagei und dem dritten Angreifer gegeben und ihnen den Inhalt des Umschlags versprochen, wenn sie dafür Sorge trugen, dass sich keiner der drei jemals wieder meinem Haus näherte.
Wieder wurde meine Gabe scheinbar unbeteiligt weitergereicht, wieder zählte der Stumme im Hintergrund das Geld. Er zählte lange. Sehr
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