Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
und fing an, meine vom Fahrtwind verstrubbelten Haare zu ordnen.
Der junge Mann beobachtete mich mit wachen Augen und feixte sich eins.
»Sie haben wohl ein Date, was?«
»Ja, ein extrem wichtiges.«
»Ist die Frau schön?«
»Sie ist großartig. Aber heute geht es vor allem darum, dass ich ihre Familie treffe.«
Er nickte wissend.
»Das ist ein wichtiger Augenblick. Aber wenn Sie die Frau wirklich lieben, werden Sie schon überzeugend sein.« Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Lieben Sie sie?«
Indiskrete Fragen sind in Vietnam nichts Ungewöhnliches. Darum machte es mir nichts aus, ehrlich zu antworten:
»So wie nie eine Frau zuvor.«
»Dann wünsche ich Ihnen viel Glück.«
»Danke. Ich werde mich mal auf den Weg machen.«
Gerade wandte ich mich zum Gehen, als er sagte:
»Moment. Sie sollten Ihre Koteletten ein wenig stutzen. Ich glaube, Ihre zukünftige Schwiegermutter könnte das ein bisschen zu wild finden.«
Ich äugte erst in den Spiegel, dann auf die Uhr. Fünf Minuten blieben mir noch, also setzte ich mich auf den Stuhl und ließ den Friseur meinen Backenbart trimmen.
Vor Liens Tür holte ich tief Luft und versuchte, meinen Puls zu beruhigen. Dann läutete ich die Glocke.
Was hatte ich mir nicht alles ausgemalt! Ein Tribunal, das sich im Halbkreis bereits um den Eingangsbereich versammelt hatte. Einen Ältestenrat, der mir unlösbare Prüfungen auferlegen würde. Doch als Lien das Tor öffnete, war von alldem nichts zu sehen. Im Vorhof schraubte ein Mann an einem aufgebockten Roller herum. Er grüßte kurz und wurde mir als Onkel vorgestellt. Drinnen fläzten sich zwei Cousins auf der Couch und sahen fern. Irgendwo im oberen Geschoss des Hauses plärrte ein weiterer Apparat, und ich hörte weibliche Stimmen kichern. Ein zweiter Onkel schleppte gerade eine Propangasflasche in die Küche, in der ich schließlich Liens Mutter traf.
»Ich fühle mich sehr geehrt, Sie kennenlernen zu dürfen«, sagte ich den seit langem auswendig gelernten Satz auf, den mir Minh als höflichste Begrüßung von allen beigebracht hatte.
Liens Mutter sah mich kurz abschätzend an und erwiderte:
»Setzt euch schon mal, Kinder, das Essen ist gleich fertig.«
Kaum saßen wir am Tisch, flog die Tür auf, und ein weiterer Gast kam herein.
»Das ist mein Cousin Tung«, stellte mir Lien den jungen Mann vor.
Einen Augenblick konnte ich vor Überraschung nichts sagen, dann presste ich ein »Hallo« durch die Lippen. Vor mir stand der Friseur.
»Schöne Koteletten haben Sie«, grinste er mich an.
»Danke. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen die Adresse von meinem Barbier geben. Es ist gar nicht weit von hier.«
Tung entpuppte sich als großartiger Verbündeter. Das ganze Essen lang hielt er die Konversation ungezwungen
und locker, gab mir die richtigen Stichworte und schlug einen Ton an, als wäre ich schon Teil der Familie. Liens Mutter blieb weiter abschätzend, aber freundlich, ihre Tante schloss mich hingegen gleich in ihr Herz (wohl auch, weil ich aus taktischem Kalkül das reichliche Essen ohne Unterlass in mich reinstopfte und mit allen mir bekannten vietnamesischen Ausdrücken der Beifallsbezeugung kommentierte).
Später wurde ich in die Männerrunde gebeten, die es sich auf dem gekachelten Fußboden des Hauses bequem gemacht hatte. Bequem? Ich werde nie verstehen, warum manche Leute das Hocken auf hartem Stein dem gemütlichen Fläzen in der Sofaecke vorziehen. Für meinen Euro-Hintern war das jedes Mal eine Herausforderung. Schon nach wenigen Minuten musste ich alle naselang die Position wechseln, weil mir wieder eine Extremität eingeschlafen war oder ein Gelenk zwickte. Ein junger Mann in einem alten Körper - mir hat es immer zu schaffen gemacht, wenn neben mir selbst die 70-Jährigen stundenlang im Schneidersitz saßen. Aber vermutlich überstehen auch vietnamesische Männer diese Tortur nur, weil sie sich bei solchen Gelegenheiten meist mit Reisschnaps abdichten. Und so schien meine Strategie auch hier aufzugehen. Ich trank, palaverte, riss leicht anrüchige Witze und versuchte unter Schmerzen, meine Position nur selten zu ändern, um nicht als das körperliche Wrack dazustehen, das ich war.
»Warum bist du kein Amerikaner?«, schnitt plötzlich eine Frage durch den matten Nebel aus Stimmen, Fusel und hundertprozentiger Luftfeuchtigkeit, der sich über meinen Geist gelegt hatte.
Wo kam das denn her? Und: Was soll so eine Frage? Besser nicht darauf eingehen: »Kennt ihr den,
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