Miss Winbolt ist schockiert
interessante Punkte zu Tage, die Rosa später beim Dinner mit Philip, Emily und William detailliert wiedergab.
Jeder, der die Umstände von Rosas erster Ehe kannte, wäre erstaunt gewesen, wie freimütig sie an diesem Nachmittag über ihren Gatten und ihr Leben als Witwe gesprochen hatte, nur um ihrer Besucherin möglichst viele Informationen zu entlocken. Vermutlich wusste nur Philip zu würdigen, welche Überwindung es sie gekostet haben musste. Doch indem sie von den letzten Minuten an Stephens Sterbebett gesprochen hatte, hatte sie herausbekommen, dass auch Maria Fenton bei ihrem sterbenden Mann gewesen war. So erfuhr sie auch, dass Edric Fenton noch in der Lage gewesen war, zu sprechen, wenn auch sehr undeutlich.
Als Rosa bei ihrem Bericht eine Pause einlegte, umarmte Philip sie. „Ich werde niemals aufhören, dich zu bewundern! Du bist so mutig, Liebste.“
„Und klug!“, lobte Emily. „Allerdings wusste ich das schon immer.“
„Ich bin noch nicht fertig“, bemerkte Rosa triumphierend. „Es scheint mir aufschlussreich, dass Edric Fenton als Junge oft bei seinem Onkel war, der zu diesem Zeitpunkt in Charlwood lebte.“
„Rosa!“
„Also kannte er das Haus“, stellte William fest. „Er wusste wahrscheinlich genau, wo er die Juwelen verstecken würde, bevor er sie stahl. Und dann ist er trotz all der Morde und der sorgfältigen Planung nicht mehr in der Lage gewesen, die Beute zu holen. Der Gedanke muss ihn wahnsinnig gemacht haben. Bestimmt hat er versucht, jemandem das Versteck zu verraten. Hat Maria Fenton behauptet, ihr Mann hätte nichts Sinnvolles mehr gesagt, Rosa?“
„Es war seltsam. Sie schilderte mir eine rührende Szene, aber ihre Worte klangen einstudiert, als hätte sie die Geschichte bereits oft erzählt. Ich nehme an, dass er noch etwas Verständliches gesagt hat, was sie auf jeden Fall für sich behalten will.“
„Dann schaue ich, was ich herausfinden kann“, beschloss William. „Ich werde wieder an sie herantreten unter dem Vorwand, mich mit Emily überworfen zu haben. Danke für deine hervorragende Vorarbeit.“ Er wandte sich an Emily. „Wollen wir unseren Plan so durchziehen, wie wir es besprochen haben? Wirst du erneut aufbrausen, wenn ich mich Maria Fenton nähere, oder bist du stark genug, mir zu glauben, dass ich mich zu dieser Dame niemals hingezogen gefühlt habe, egal, was ich ihr in den nächsten Tagen erzählen werde?“
Nach einem kurzen Schweigen erwiderte Emily: „Ich vertraue dir.“
„Gut!“ William lehnte sich zurück und zog den Knopf, den George Fowler ihm gegeben hatte, aus seiner Westentasche. „Kann sich jemand daran erinnern?“
Nach eingehender Betrachtung schüttelten sie die Köpfe. Rosa bemerkte: „Es ist der Knopf von einer Männerjacke, oder? Die Knöpfe an Marias Pelisse sahen ähnlich aus, aber sie waren viel schmaler …“
„Ich habe es!“, rief William aus. „Es ist ein Knopf von Walter Fentons Reitjacke. Ich erinnere mich genau! Als ich ihn damit gesehen habe, dachte ich mir, dass die Knöpfe viel zu verschnörkelt für eine Männerjacke sind. Da haben wir den Täter!“
„Du meinst, Walter Fenton hat mit diesem Kidman zusammen den Brand gelegt?“, fragte Emily.
„Wenn nicht ein anderer seine Jacke trug, war er dabei, als es geschah. Inzwischen wird mein Besuch bei den Fentons immer interessanter …“
Er brach ab und drehte sich um, als eine kleine Gestalt im weißen Nachthemd durch die Tür huschte und zum Tisch lief. Ein sichtlich geplagtes Kindermädchen eilte hinterher. „Ich bin nicht ungezogen!“, rief James ernst. „Ich will das hier nur Onkel William geben, so wie ich es versprochen habe!“ Er reichte seinem Onkel das kleine Bild. William bemühte sich, ihn streng anzusehen, was ihm jedoch nicht gelang. Er nickte dem Kindermädchen freundlich zu und nahm das Gemälde. „Danke, James. Ich werde gut darauf aufpassen. Aber jetzt gehst du besser ins Bett. Soll ich dich nach oben bringen?“
James nickte begeistert.
Als William zurückkam, hatten die Winbolts sich das kleine Gemälde genau angesehen.
„Für meine Begriffe ist es künstlerisch wertlos“, bemerkte Philip. „Wenn die anderen genauso sind, würde ich sie nicht an die Wand hängen, William.“ Er drehte das Bild um. „Auf der Rückseite steht eine Nummer – die Neun. Ist das von Belang?“
„Ich glaube nicht. Die anderen waren auch nummeriert.“
„Was ist das?“
William hielt eine Schachtel aus dem Anwaltsbüro in Händen. Sie war
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