Miss Wyoming
kaufte sie sich an einer Tankstelle Apfelsaft und ein Schinken-Sandwich. Sie aß, stellte fest, dass sie zusammenbrechen würde, wenn sie gleich weiterführe, und nahm eine Beruhigungstablette aus ihrer Handtasche, die ihr einen kurzen, unruhigen Schlaf auf dem Parkplatz einbrachte. Das Handy schreckte sie auf. Es waren Dreama und Randy, die wissen wollten, ob es etwas Neues gäbe. Sie brauste wieder los. Ihre Landkarte sagte ihr, dass Los Angeles und Cheyenne 1200 Meilen voneinander entfernt waren. Sie verbrachte mehrere Stunden damit, auszurechnen, wie lange sie bei ihrem Fahrtempo brauchen würde. Es kamen jedesmal ungefähr fünfzehn Stunden dabei heraus. Ihr Schläfchen mit eingerechnet, würde sie ungefähr um sieben Uhr morgens Ortszeit in Cheyenne ankommen. In Utah machte ihr Motor schlapp. Sie verlor dort mehr als einen halben Tag. Bei Sonnenaufgang kam sie in Cheyenne an, abgerissen und ausgehungert. Sie fuhr zu Marilyns altem Haus, klingelte kampfesbereit, und die neuen Mieter öffneten, ein nettes junges Pärchen, die Elliots, die sich gerade anschickten zur Arbeit zu gehen.
»Ihre Mutter ist vor einem Jahr ausgezogen«, sagte Mrs. Elliot, Loreena. »Aber es stehen immer noch ungefähr einmal pro Woche Leute vor der Tür, die entweder Ihre Mutter oder Sie suchen. Wir hätten allerdings nie damit gerechnet... Sie hier zu sehen.« Das war gar nicht respektlos gemeint, aber Susan konnte sich vorstellen, was für einen Eindruck es machen musste, dass sie am frühen Morgen hier aufkreuzte und nicht mal wusste, wo ihre Mutter wohnte. Sie boten Susan Frühstück an, und sie aß in der Küche, die auf gespenstische Weise genauso aussah wie am Morgen ihres Wiedersehens mit Marilyn. Loreena fragte Susan, ob sie ein Bad nehmen wolle, aber Susan lehnte ab, viel zu erschöpft, um ihre Haare einzuseifen und auszuspülen. Die sauberen Klamotten, die Loreena für sie heraussuchte, nahm sie jedoch gern an. Während sie sich im Badezimmer im ersten Stock umzog, konnte sie unten ein gedämpftes Gespräch hören. Susan hatte panische Angst, dass die Polizei eingeschaltet werden könnte. Als sie in die Küche zurückkehrte, gestand sie, dass sie und ihre Mutter den Kontakt abgebrochen hätten, sie aber jetzt mit ihr sprechen müsse. Der Mann, Norm, sagte, das erinnere ihn an seine Schwester und seine Mutter, und Loreena nickte.
Susan und Loreena durchforsteten die Telefonbücher nach allen möglichen Varianten von Marilyns Nachnamen, Mädchennamen, zweiten Vornamen und Kosenamen, aber es kam nichts dabei heraus. Dann suchte Susan methodisch jede Straße der Stadt - die dafür gerade noch klein genug war -nach einem rotbraunen BMW ab. Als die Sonne untergangen war, gab sie auf.
Sie rief Randy an, der im Valley-Haus umherstapfte und Sachen zusammenpackte, in der Erwartung, dass Susan ihn bitten würde, mit Dreama nach Wyoming zu fahren. Susan riss sich zusammen und bedankte sich bei den Elliots, dann verbrachte sie die nächsten zwanzig bis dreißig Stunden damit, mit ihrem Auto durch Cheyenne zu gondeln. Sie rief Randy auf seinem Handy an und sagte ihm, sie würde in Richtung Westen fahren, nach Laramie, und sie dort treffen. Als sie auftauchten, sank Susan ihnen tränenüberströmt in die Arme. Sie ließ ihr Auto an einer Tankstelle stehen, und sie fuhren in Randys Minivan zurück nach Cheyenne. Randy und Dreama versuchten, die Situation besonnen zu analysieren und zu entscheiden, was als Nächstes zu tun sei. In all dem Trubel erfuhr Susan zu ihrer Verwirrung auch noch, dass John Johnson erst bei Randy und dann bei Dreama aufgekreuzt war. Ihr Gehirn setzte aus, als habe sie eine Ohrfeige erhalten.
»Das ist kein Irrer«, sagte Susan. »Das ... ist er einfach nicht.«
»Das hab ich nie behauptet, Susan«, sagte Dreama. »Aber er ist eine vierstellige Primzahl.«
»Komm mir nicht mit Numerologie. Nicht jetzt, Dreama.« Randy hatte schlechte Laune, weil er die ganze Zeit im Auto sitzen musste.
»Er hat nach mir gesucht?«, fragte Susan. »Er weiß doch noch nicht mal von Eugene Junior.« Sie geriet ins Grübeln: John suchte sie. Erneut prallte ihr Hirn gegen eine Wand. Aber jetzt hatte sie das Gefühl, jemand habe ihr eine neue Batterie eingesetzt. Jemand suchte sie - jemand, den sie selbst schon zu finden versucht hatte. Sie schaute aus dem Fenster auf die Prärie. Plötzlich kam sie ihr nicht mehr ganz so groß und furchteinflößend vor. Plötzlich war sie nicht mehr ein Ort, an dem sie hoffnungslos verloren sein
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