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Miss Wyoming

Miss Wyoming

Titel: Miss Wyoming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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nie so gut gefühlt - Mann, ich habe grade bei der Raumstation Mir geklingelt.« Er spürte, wie er zurück zur Erde fiel, durch die Ionosphäre, die Troposphäre und die cremig blaue Atmosphäre. »Lass das!«, brüllte er. »Wer bist du überhaupt - kennen wir uns? Schick mich wieder rauf!« 
    »Sieh mich an, John.« 
    »Ich guck dich doch an. Ich guck dich an.« 
    »Nein, das tust du nicht. Du überlegst, wie du mich loswerden und zurück ins All fliegen kannst.«
    »Okay, okay, du hast Recht. Aber hab ich nicht allen Grund dazu? Ich will nicht wieder zurück in mein beschissenes kleines Leben.«
    »Dein Leben ist beschissen?«
    Sein Körper machte auf der Stelle Halt, die Füße in der Atmosphäre, der Kopf draußen im All, als wate er in der Lufthülle der Erde. »Es ist nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte, nein.«
    »Was hättest du dir denn gewünscht?«
    »Meinst du, ich trag so 'ne Liste mit mir rum, wo das gleich obenauf steht?«
    »Was wäre denn daran so verkehrt?«
    Darauf wusste John einen Moment lang nichts zu erwidern. »Nichts, schätze ich.« Er schaute in Richtung Osten, zur Küste. »He, guck dir New York an! Man kann die Lichter sehen! Dort ist jetzt Nacht.« Der Blick war in der Tat fantastisch. »Sicher, John, die Welt ist schön. Aber du wolltest mir gerade erzählen, was dü in deinem Leben gern anders gemacht hättest. «
    »Keine Ahnung. Ich wäre gern so ein Typ, der im Sportgeschäft kurzärmlige Golfhemden mit olivgrünen Karos kauft - einer, der seine Kinder zum Judounterricht fährt und danach mit ihnen ins Pfannkuchenhaus geht.« »Du?«
    »Na ja, das war ein Anfang. Solche Typen sehe ich samstagnachmittags auf dem San Diego Freeway. Sie sind mit perfekten Müttern verheiratet und gehen niemals fremd.« 
    »John, jetzt mal im Ernst - ich hab nicht so viel Zeit.« 
    »Okay, okay. Reg dich ab, und lass mich verdammt noch mal nachdenken.«
    »O Johnnnn«, flötete die Vision, »ist das denn so kompliziert?«
    »Weißt du was?«, sagte John. »Ich würde am liebsten einfach nicht mehr ich sein. Ich wäre gern jemand Unbekanntes, ohne jeden Ballast. Ich wäre gern ein unbeschriebenes Blatt.« 
    »Dann geh und lösch deine Vergangenheit. Leg dir eine neue Identität zu.«
    »Das ist zu kompliziert. So was geht heute nicht mehr. Dafür gibt's zu viele Computer und so.«
    »Das ist nicht kompliziert. Im Gegenteil. Nichts leichter als das.«
    »Wer bist du?«
    »Um mich geht es hier nicht.«
    »Ich kenne dich irgendwoher. Sundance? Tristar?«
    »Du vergeudest deine Zeit.«
    »Und was passiert jetzt?«
    »Zurück ins Krankenhaus.«
    »Oh.«
    »Klingt, als wärst du enttäuscht.«
    John wurde so still wie ein leeres Zimmer. Und dann sagte er: »Ich möchte dich wiedersehen.« 
    »Ich weiß nicht, John.«
    »Bitte!« John begann mit rasender Geschwindigkeit in Richtung Kalifornien zu stürzen.
    »Ich hab einen Anrufer auf der anderen Leitung, John.« Rumms!
    Es war ein Gefühl, als sei er auf Beton gelandet.
     
    Zwei Tage später lag er hellwach in seinem Krankenhausbett, und Melody, seine Busenfreundin und Wirtin des Bordells seines Vertrauens, saß in einer Ecke seines dunklen Einzelzimmers und guckte Dr. Quirin - Ärztin aus Leidenschaft. »Du bist ja wach! Hallo!« rief Melody. Sie stellte den Ton aus, stöckelte an sein Bett und küßte ihn auf die Stirn. »Melody - verdammt - welcher Tag ist heute?« 
    »Es ist Samstag, du Scheusal. Du hattest eine Grippe. Und eine Lungenentzündung. Die Ärzte meinten, sie dachten, du hättest AIDS, weil von deinem Immunsystem fast nichts mehr übrig ist.« Draußen war die Sonne fast untergegangen. Ein Trolley rollte an der Tür vorbei. »Warst du die ganze Zeit hier?«
    Melodys Miene verriet ihr schlechtes Gewissen. »Na ja, eigentlich nur ungefähr zehn Minuten.«
    John ließ den Kopf zur Seite sinken und erhaschte einen Blick auf sein Spiegelbild. Er schloss die Augen. »Himmel.« Melody raschelte in ihrer Handtasche und förderte ein paar Pfefferminzbonbons zutage. »Willst du 'n Pfefferminz?« John drehte sich der Magen um. »Nein.« 
    »Spielverderber.«
    Melody steckte sich einen in den Mund und starrte dann John an, der die Augen schloss und versuchte, das Gesicht und die Stimme, die ihm erschienen waren, wieder heraufzubeschwören. Aber er hörte nur Melody, die ihm erzählte, was passiert war und wie krank er gewesen war, um dann zu Klatsch und Tratsch überzugehen. Das Gefühl, ihr auf dem Krankenbett ausgeliefert zu sein, rief

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