Miss Wyoming
drehte den Hahn ab. Er zitterte, und ihm wurde klar, dass er einfach bloß krank war - krank! Er war seit Jahrzehnten nicht mehr krank gewesen, aber das Wissen, dass es nicht die Drogen oder seine Ausschweifungen waren, die seine Zähne zum Schnattern brachten wie einen Baum voller Vögel, ließ sein Herz höher schlagen. Er langte nach dem Wandtelefon neben der Toilette und hieb mit der Handfläche auf den Freisprechknopf. Ein Freizeichen durchschnitt die Stille wie ein Rasiermesser.
Wen sollte er anrufen? Er musste sich schnell entscheiden, denn er spürte, dass sein Zahlengedächtnis schwand. Kay würde inzwischen wieder zu Hause in Inglewood sein und schon längst ihre zweite Flasche Chablis geöffnet haben. Melody war drüben in Rancho Mirage und organisierte ein Fantasy-Wochenende für Banker. Ivan war in der Schweiz, in Davos, um Geldgebern in den Arsch zu kriechen. Seine Mutter? Die durfte ihn auf keinen Fall so sehen. Jennifer, seine Assistentin, hatte am Vortag fristlos gekündigt, nachdem sie die Überwachungskamera entdeckt hatte, die Lopez, sein Wachmann, in den elektrischen Lufterfrischer im Badezimmer eingebaut hatte. (»Kaum zu glauben, dass du so tief gesunken bist, mich zu beschuldigen, ich hätte dein Koks geklaut, John.«
»Aber Jennifer, du hast mein Koks geklaut.«
»Selbst wenn, wie konntest du so was Schlimmes von mir denken?«) Damit war ihre Beziehung beendet. Und dann konnte John sich tatsächlich an keine Nummer mehr erinnern, beim besten Willen nicht, daher drückte er die »Omataste«, die mit dem kleinen roten Kreuz drauf, und krächzte dem Teenager, der in der Zentrale Dienst schob, ins Ohr, er solle ihm »einen verdammten Krankenwagen schicken«, der, wie ihm schien, zwei REM-Zyklen später endlich eintraf, nachdem John sich in eine Jogginghose gequält und einen ganzen Sack voll Pillen in ihre großen Taschen geschaufelt hatte, die nach und nach auf den Boden prasselten, während er sich mühsam die Treppe zur Eingangstür hinunterkämpfte, gerade als die Sanitäter kamen, woraufhin er wieder das Bewusstsein verlor.
Stunden später, nachdem der Arzt und die Schwester seinen Karriereverlauf analysiert und die Suppe aus seinen Lungen gepumpt hatten, lag er in einem kühlen, stillen Zimmer der Cedars-Sinai-Klinik im Bett. Neben ihm stand ein Fernseher von der Größe einer Schachtel Marlboro. Er hörte vom Band eingespieltes Gelächter, ein paar Werbespots, und dann nahm er all seine Kraft zusammen, um seinen Kopf zum Bildschirm zu drehen. Es lief gerade irgendeine schwachsinnige Serie aus den frühen Achtzigern. Ein Haufen Typen mit abgelaufenem Verfallsdatum.
Ihm war übel und schwindelig, und er hatte Fieber. Er erinnerte sich, wie in seiner Kindheit, als er noch mit seiner Mutter in Kentucky wohnte, ein Tornado die Stadt dem Erdboden gleich gemacht hatte. Hinterher war er durch die Straßen gelaufen. Eine vom Sturm gehäutete Kuh lag neben einem Pickup. Ein Pferd steckte oben in dem einzigen stehen gebliebenen Baum fest, der mitten im Sommer alle Blätter abgeworfen hatte. Tausende von Flussbarschen zappelten in einem Streifen Kalisalzkraut wie offene, nässende Schwären, die sich in der Erde aufgetan hatten.
Plötzlich hatte er das Gefühl, wieder sechzehn zu sein; sein Körper war clean. Er fühlte sich elastisch und wollte am liebsten auf dem Mini-Trampolin der High-School Saltos schlagen. Er wollte auf Skiern einen Gletscher hinuntersausen. Er wollte mit Saugnäpfen an den Fenstern des Hochhauses der First Interstate Bank hochklettern. Er wollte fliegen. Und so flog er, hinauf über das Cedars-Sinai Medical Center und über Los Angeles, zur Sonne, bis an den Rand der Atmosphäre, wo er bei der Raumstation Mir anklopfte, und dann hörte er die Stimme einer Frau und sah ihr Gesicht. Sie sagte zu ihm: »Nein, John. Zeit, zurückzukehren.«
»Das muss ein Scherz sein.« John steuerte weiter auf die Sonne zu.
»Ich mache keine Scherze, John. Das ist nicht mein Job.« John drehte sich um und sah in Susans Gesicht, das dem Fernsehen so kürzlich erst verloren gegangen war. Es war ein hübsches, typisch amerikanisches Gesicht mit fernsehgerechten Proportionen - das Gesicht eines Kindes, das mit Tetracyclin, Cheerleader-Nummern und Kung-Fu-Kursen aufgewachsen war. »Hast du hier etwa das Sagen?«
»John, wir sind nicht hier, um irgendwelche Vertriebsrechte für Kanada oder Mexiko auszuhandeln. Wir sind hier, um dich wieder gesund zu machen.«
»Gesund? Ich hab mich noch
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