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Miss Wyoming

Miss Wyoming

Titel: Miss Wyoming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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es gab keine. Welche Erleichterung! Und wie still es war. Sie sog prüfend die Luft ein, holte sich ein Glas Leitungswasser und sah sich die verschiedenen Gegenstände an, die mit Magneten an die Kühlschranktür geheftet waren: Familienfotos -zwei hübsche Kinder, ein Junge und ein Mädchen, und ein Bild der Mutter, die auf Susan den Eindruck einer jener perfekten Mütter machte, über die man immer wieder in Frauenzeitschriften liest, der Schlag Frau, die Kinder mit einem tapferen Lächeln zur Welt bringt und nicht in der Lage ist, ein ernährungswissenschaftlich unausgewogenes Picknick zusammenzustellen. Ein Foto des Vaters war auch dabei - ein sportlicher Typ in einem blauen Nylon-Marathondress, die Tochter in einem Tuch auf den Rücken gebunden. Außerdem hing ein Kalender am Kühlschrank, dessen Eintragungen Susan entnehmen konnte, dass »die Galvins« noch weitere sieben Tage in Orlando weilen würden. Sie schaute in den Kühlschrank und fand ein paar vergessene Karottenstäbchen, die sie knabberte, während sie ins Wohnzimmer ging und sich auf die Couch legte. Das Bellen und Heulen der Sirenen drang schwach an ihre Ohren, und sie stellte den Fernseher an. Ein Hubschrauber eines lokalen Nachrichtensenders berichtete von dem Absturz. Die Ereignisse erschienen ihr im Fernsehen realer als in Wirklichkeit. Die Rettungsmannschaften, so hieß es, hatten noch keine Überlebenden gefunden. Die Zahl der Todesopfer belief sich auf 194. Susan registrierte jedes Wort. Ihre Unfähigkeit, auf den Absturz zu reagieren, machte ihr Angst. Sie war alt genug, um zu wissen, was ein Schock war, und ihr war klar, dass er sich, wenn es so weit war, auf brutale und bizarre Weise äußern würde.
    Die Spätnachmittagssonne schien durch die Wohnzimmerläden. Susan schaltete die Klimaanlage ein und spazierte durch das stille Haus. Im ersten Stock blieb sie stehen und presste ihre Wange an den kühlen Putz im Flur. Vor ihr lagen drei Schlafzimmer und zwei Bäder von bedrückender Enge, deren Normalität so extrem war, dass es ihr vorkam, als wäre sie auf wundersame Weise fünfhundert Jahre in die Zukunft versetzt worden und befände sich in einem Diorama, in dem das bürgerliche Leben Nordamerikas im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert nachgestellt war.
    Das Badezimmer war groß und sauber. Susan ließ Badewasser ein, zog sich aus und stieg in die Wanne. Sie glitt mit dem Kopf unter die Oberfläche des gechlorten, edelsteinblauen Wassers, und als sie zum Luftholen wieder auftauchte, begann sie zu weinen. Sie war ungeschoren davongekommen - ohne Beulen und Kratzer, wie ein Apfel frisch vom Obststand im Supermarkt. Die Haut klamm, die Knie bis ans Kinn hochgezogen, dachte Susan an ihre Mutter, Marilyn, und an deren Leidenschaft für Lottoscheine. Seit ihrer frühesten Jugend hegte Susan ein tiefes Misstrauen gegenüber Lotto-Spielen. Sie eröffneten einem zwar die Möglichkeit, 3,7 Millionen Dollar zu gewinnen, aber indem sie das taten, öffneten sie auch andere Türen -Türen, die man vielleicht lieber verschlossen gelassen hätte, Türen, die sich, wenn sie einmal offen waren, nicht wieder schließen ließen. Man riskierte, dass einem katastrophal Gutes wie auch katastrophal Schlechtes widerfuhr. War die Tatsache, dass Susan verschont geblieben war, die Belohnung dafür, dass sie sich all die Jahre geweigert hatte, Marilyns Lose zu rubbeln?
    Sie spritzte sich das Gesicht nass und spülte sich die Tränen ab. Ihre Zähne fühlten sich klebrig an. Sie ließ sich Wasser in den Mund laufen und versuchte sie mit der Zunge zu säubern. Jetzt hatte sie nicht mehr das Gefühl, tot oder ein Geist zu sein. Ihr Atem ging ruhiger. Der Himmel begann sich zu verdunkeln, und sie trocknete sich ab, zog Karen Galvins Frottee-Bademantel an und kehrte in die Küche zurück, wo sie sich eine Dose Champignoncremesuppe warm machte. Als diese fertig war, ging sie mit der Suppe und einer Packung Goldfish Crackers ins Wohnzimmer und setzte sich vor den Fernseher. Würden die Nachbarn das Licht bemerken und Verdacht schöpfen? Sie schob den Gedanken beiseite. Die Siedlung wirkte, als sei sie vom Fox-Studio eingeflogen worden, speziell für Menschen entworfen, die mit ihren Nachbarn nichts zu tun haben wollten, und Susan vermutete, dass sie vermutlich eine Heavy-Metal-Platte bei voller Lautstärke abspielen konnte, ohne dass jemand auch nur mit der Wimper zuckte. Das Nachrichtenteam des Lokalsenders arbeitete auf Hochtouren, und Susan war nicht überrascht, als

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