Missbraucht
ihr eine Gelegenheit, reinen Tisch mit ihm zu machen und damit die Affäre endgültig zu beenden. Aber blieb nicht doch ein Restrisiko? Der Doktor war der Sache irgendwie ebenfalls nicht gewachsen. Sie begann, sein Verhalten erheblich in Zweifel zu ziehen. Konnte sie ihm trauen? Natürlich, solange alles glattging. Aber sollte auch nur der geringste Verdacht auf den Doktor fallen, würde er einknicken, da war sie sich sicher. In Nicoletta begann ein perfider Plan zu reifen. Sie hatte die Möglichkeit einen Schlussstrich unter die leidige Angelegenheit zu ziehen, für immer. Der Doktor musste weg, genauso wie Uwe weg musste. Ihr bot sich die Gelegenheit, mit einem Schlag alle bestehenden Risiken auszuschalten und sie freundete sich mit zunehmendem Nachdenken immer mehr mit ihren Überlegungen an. Sogar der Junge konnte bei wohlwollender Betrachtung am Leben bleiben. Mathae wusste nichts von ihr und die beiden anderen Schweine, die diesem pädophilen Arschloch Baumel zugearbeitet hatten, verdienten es im Grunde nicht anders, als zu sterben. Nicoletta redete sich fast so etwas wie ein reines Gewissen ein, wenn sie ihre beiden Komplizen beseitigen würde. Auf der anderen Seite, warum sollte der Junge überleben? Sein Tod würde die ganzen Umstände der Tat glaubwürdiger machen und damit Nicoletta noch mehr aus der Schusslinie nehmen. Uwe Stromberg tötet den Jungen, der Doktor erschießt Uwe, weil er mit der Last des missbrauchten und toten Kindes auf seinem Gewissen nicht leben will und erhängt sich. Perfekt, dachte Nicoletta und ihre Lippen formten ein diabolisches Grinsen.
*
29.06.1994
"Scheiße! Da bleibt mir gar nichts anderes übrig", sagte Richard merklich unzufrieden und blickte dabei gedankenverloren auf den Ventilator. "Ich fahre hoch und erledige das."
"Jetzt kriege dich wieder ein, das ist das Beste, was du machen kannst. Ich informiere die Kollegen in Montabaur, du wirst sie zur Unterstützung einbeziehen und dann ist das doch ein Kinderspiel. Sandra ist auch noch oben, sie kann in der Zwischenzeit Stromberg weiter observieren. Dann sag ich Koepp Bescheid, damit er sich um den Haftbefehl kümmert. Obwohl ich annehme, das hat er schon längst getan. In drei, vier Stunden ist alles gelaufen und du hast Feierabend", redete der Polizeidirektor auf seinen Spitzenbeamten ein und hielt dabei weiter grotesk anmutend, sein Gesicht vor den Ventilator.
Richard Mees wählte die Nummer seiner Kollegin an. Es dauerte einen kurzen Augenblick, bis sich die Polizeiobermeisterin meldete.
"Sandra, hör zu. Ich komme gleich nach Montabaur, wir werden Stromberg festnehmen. Also sieh zu, dass du herausfindest, wo er sich aufhält und lass ihn nicht mehr aus den Augen, in einer Stunde bin ich bei dir." Sandra Götze wirkte etwas überfahren, ob der überraschenden Entscheidung zum Zugriff auf Uwe Stromberg.
"Was ist passiert, warum jetzt auf einmal doch heute?"
"Dein Chef hatte nichts Eiligeres zu tun, als es dem Staatsanwalt zu drücken, unserem lieben Freund Koepp! Du kannst dir vorstellen, was los ist, wenn wir Stromberg eine weitere Nacht frei herumlaufen lassen", antwortete Richard und sah dabei den Polizeidirektor übertrieben vorwurfsvoll an.
Mertes registrierte es, maß dem Umstand aber außer einem Kopfschütteln keinerlei weitere Bedeutung zu.
"Okay, ich hab aber auch noch einiges herausgefunden, Richard. Ich sehe, ob ich ihn finden kann." Sandra hatte nicht vor, ihren, wie sie glaubte, nicht unbedeutenden Teil zur Lösung des Falls unter den Tisch fallen zu lassen. Die junge Kriminalbeamtin wollte ihren Anteil angemessen gewürdigt wissen und die ihr zu stehenden Meriten genießen.
Richard Mees dachte weniger an irgendwelche Belobigungen oder das Auskosten dieses Fahndungserfolges. Das würde der Staatsanwalt schon zur Genüge inszenieren. Aber es war ihm wichtig, die Lorbeeren nicht allein Koepp zu überlassen. Richard hatte sich vorgenommen dafür zu sorgen, dass die Aufklärung größtenteils der ausgezeichneten Arbeit der Mordkommission zugeschrieben wurde. Er würde darauf bestehen, bei der obligatorischen Pressekonferenz, anstelle des Polizeidirektors neben dem Herrn Koepp Platz zu nehmen.
Sein Statement würde Koepp nicht den Hauch einer Chance lassen, sich mit den Ermittlungen der beteiligten Beamten zu schmücken. Im Gegenteil, Koepp würde betonen müssen, welch hervorragende Arbeit die Mordkommission Koblenz, allen voran Kommissar Mees und Polizeimeisterin Götze geleistet hätten. Er hoffte
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