Missbraucht
lehnte sich zurück und dachte nach. Der Junge würde größer, die Trennung von seiner Schwester war eigentlich vorauszusehen, wie würde er reagieren? Das war ein Problem und kein kleines. Vor ein paar Tagen schien alles noch normal zu laufen. Das Verhältnis von Baumel zu dem Jungen lag wie ein schwarzer Schatten über seiner Arbeit, aber das war schließlich noch mehr Baumels Problem und der hätte schon irgendwie eine Lösung gefunden. Baumel hatte Geld, Macht, Einfluss und Beziehungen. Und jetzt? Jetzt war Baumel tot und er war Komplize bei einem Mord geworden. Von der Erpressung ganz abgesehen. Alles nur, weil diese Nutte den Hals nicht voll bekommen hatte. Der Kommissar schien ihm gefährlich zu sein, seine beiden Kumpane waren jeder für sich unberechenbar und der Junge war der größte Schwachpunkt, wenn sich die Situation zuspitzen würde. Vielleicht sollte er sich ernsthaft Gedanken machen, wie er Mathae für immer ruhigstellen konnte, um sich dann den anderen Problemen zu widmen. Je mehr der Doktor überlegte, desto mehr empfand er Verachtung und Ekel vor sich selbst.
*
23. 6. 1994
D as Bier schmeckte ihm wieder richtig gut. Richard Mees hätte Bäume ausreißen können. Der Kater, der ihm am morgen zu schaffen gemacht hatte, war vertrieben, der Fall in Montabaur wurde zunehmend interessanter und heute Abend stand Fußball auf dem Programm. Alles sprach für einen guten Tag.
Als Richard den Wagen auf dem Parkplatz abstellte, sah er, wie die ihm bekannte Arbeitskollegin von Frau Stromberg, zusammen mit Dr. Heb das Heim verließ. Er machte sich instinktiv etwas kleiner. Die beiden schienen eine hitzigere Unterhaltung zu führen. Er konnte an der Körpersprache der beiden, an der Art wie sie sich gegenüberstanden und an ihrer Mimik erkennen, dass sie sich über irgendetwas stritten. Beide schüttelten mehrmals mit dem Kopf und fuchtelten mit den Armen, während sie aufeinander einredeten. Aus jahrelanger eigener Erfahrung wusste der Kommissar, dass das kein normales Gespräch zwischen einem Chef und einer Angestellten war. Als sich ihre Gemüter offensichtlich etwas beruhigt hatten, blieben sie noch einen Moment zusammenstehen und führten ihre Unterhaltung unaufgeregter fort. Dann trennten sich ihre Wege.
Richard ging zurück zu Baumels Haus. Die Sonnenbrille und die Camel gaben ihm die Lässigkeit, die er immer für sich reklamierte. Wer waren schon die Luschen von Miami Vice?
Sandra wartete zusammen mit Karin Stromberg im Flur auf ihn. Frau Stromberg schien immer noch mitgenommen und fassungslos ob des augenscheinlichen Einbruchs.
"Und hast du was erreicht?“, fragte die Polizeimeisterin ob der kleinen Einkaufstour schnippisch. Einen Moment überlegte Richard. Dann war ihr ironischer Ton in seiner Gedankenzentrale angekommen.
"Ja, alles bestens. Alles zu meiner Zufriedenheit", er grinste.
"Na das ist ja die Hauptsache. Meinst du nicht auch, dass Frau Stromberg jetzt gehen kann? Sie muss doch nicht auf die Kollegen von der KTU warten."
"Natürlich kann sie gehen."
Frau Stromberg bedankte sich und wollte sich gerade auf den Weg machen, als Kommissar Mees sie fragte:
"Eines noch Frau Stromberg!"
"Ja bitte", sie wirkte überrascht.
"Wie ist Ihr Verhältnis zu Dr. Heb?"
"Wie meinen Sie das?"
"Na ja, Ihr Verhältnis zu ihm als Chef. Wie ist er so?"
Frau Stromberg überlegte kurz. "Ich habe eigentlich nichts mit ihm zu tun, ich mache meine Arbeit und das war es."
"Reden Sie nicht mit ihm?"
"Nein, warum sollte ich? Wir grüßen uns und damit hat es sich."
"Aber sie müssen doch organisatorische Sachen mit ihm abklären, über den Ablauf hier in der Küche sprechen oder wenn mal etwas geändert wird", der Kommissar hakte nach.
"Nein, dass macht Frau Haberkorn. Sie ist quasi unsere Chefin und die hat jede Woche zwei, dreimal ein Gespräch mit dem Doktor. Wir reden vielleicht mal auf der Weihnachtsfeier mit ihm", sagte sie und lachte leise dabei.
"Aha, und Frau Haberkorn ist die Frau, mit der sich ihr Sohn so angeregt unterhalten hat?", so langsam kam Kommissar Mees dahin, wo er hin wollte.
"Nein, das ist Nicoletta. Die hat noch weniger zu sagen als ich. Zuerst kommt Frau Haberkorn, dann komm ich und dann kommt Nicoletta", jetzt lachte sie etwas aufgeräumter, als sie dem Kommissar die Küchenhierarchie erklärte.
"Und ihr Sohn und Nicoletta sind ein Paar?"
"Ich weiß nicht so recht. Ja, sie haben was zusammen, aber ein Paar? So würde ich das nicht sagen. Uwe ist ein ganzes Stück
Weitere Kostenlose Bücher