Missbraucht
zu tiefst Unmoralisches und Verbotenes verstrickt war, überstieg Uwes Vorstellungskraft bei Weitem. Nur Dr. Hebs Drängen, auf das Versprechen, mit niemandem, auch nicht mit seiner Mutter, über die Vorgänge zu sprechen, verwunderte ihn zunächst. Die fein gesetzten Hinweise des Doktors auf Strombergs Probezeit und das "in der Schuld stehen", gegenüber Frank Baumel, überzeugten ihn von seinem Stillschweigen. Erst nach und nach ließ Heb erkennen, dass Uwe in eine Sache hinein geraten war, für die nicht nur er, sondern auch seine Mutter die Konsequenzen zu tragen hatten, wenn davon etwas in der Öffentlichkeit bekannt wurde. Heb machte dem jungen Mann nachdrücklich bewusst, dass sie ihre Arbeit verlieren würden und dass Uwe darüber hinaus, wohl wieder ins Gefängnis kommen würde. Zu diesem Zeitpunkt war er längst mit in die Sache hinein gezogen. Hebs Plan war aufgegangen, er hatte für alle Fälle jemanden, der ihm die Drecksarbeit machen würde. Aber eines hatte der Doktor nicht auf der Rechnung: Nicoletta!
Die Rumänin tauchte plötzlich auf, wie Phoenix aus der Asche. Gerade im Hinblick auf die rumänischen Kinder hatte man sie bei der Vergabe der Stelle als Küchenhilfe, den anderen Bewerberinnen vorgezogen. Dass sie schon nach kurzer Zeit ein Verhältnis mit Uwe Stromberg begonnen hatte, erwies sich als fataler Zufall. Sie besaß die Gabe, von dem jungen Mann alles, aber auch wirklich alles zu erfahren und zu bekommen, ohne überhaupt nach etwas zu fragen.
Friedhelm Heb wusste schon lange von der Veranlagung seines Freundes, schon seit gemeinsamen Schulzeiten. Dadurch hatte er das Gefühl dafür verloren, wie er Frank Baumel tatsächlich helfen konnte. Ganz zu Anfang redeten sie noch darüber, dann machte Friedhelm nur noch Andeutungen, um seinen Freund subtil darauf hinzuweisen, dass etwas nicht stimmte. Er wollte ihn durch seine diskreten Bemerkungen nicht verletzen und irgendwann nahm er es schließlich stillschweigend hin. Spätestens ab diesem Zeitpunkt, hatte er sich mit seinem duldenden Verhalten an Baumel verkauft.
Frank Baumel war nämlich nicht nur Wohltäter und Menschenfreund, sondern darüber hinaus konnte er ein richtig großes Schwein sein, wenn es galt, seine Interessen durchzusetzen. Denn all seine finanziellen Zuwendungen und sein persönlicher Einsatz, die Interessen des Heimes nach außen zu vertreten, hatten nur eines zum Ziel: Er wollte im Revier des Jugendheimes wildern dürfen. Dabei suchte er nicht nach wechselnder Beute, er bevorzugte langfristige Beziehungen. Folglich war es für ihn auch kein verbotener Sex, den er mit den Jungen hatte, es war aufrichtige, wahre Liebe, die allerdings mit dem Erwachsen werden, der Jungen erkaltete.
Thomas stand kurz vor seinem Abschluss. Er wuchs in letzter Zeit schnell, ihm würde körperliche Arbeit nichts schaden und deshalb wollte Baumel ihm zum ersten Juli einen Ausbildungsvertrag als Straßenbauer geben. Die Ausbildungsstätte war Dessau in Sachsen Anhalt. Damit war der Junge erst einmal aus der Schusslinie. Die Entfernung würde dazu beitragen, dass etwaige Emotionen recht klein gehalten würden und dass ihre Liebesbeziehung, wie die von Millionen anderen auch, langsam einschlafend ein Ende fand. Eine kleine Wohnung für Thomas zu finden, war kein Problem. Baumel besaß inzwischen zwei Mehrfamilienhäuser in Dessau, da ging immer etwas. Außerdem war er inzwischen so gut in der Stadt vernetzt, das eine Zweizimmer Wohnung zu finden, kein Problem für ihn darstellen durfte. Der Plan gefiel Baumel, der Junge war weit weg und trotzdem hatte er immer Zugriff auf ihn und konnte ihn gut unter Kontrolle halten.
*
23.06.1994
Mathae klopfte an die Tür und trat vorsichtig ein. Seine Körpersprache war jederzeit zurückhaltend, fast ängstlich und demütig. Noch immer legte er einen unterwürfigen Respekt an den Tag, wie ein Leibeigener seinem Herrn gegenüber.
Der Junge hatte während seiner Zeit im Heim gut gelernt. Er verstand viel von dem, was man ihm sagte und konnte sich erstaunlich gut auf Deutsch verständigen, wenn es denn sein musste, ansonsten verhielt er sich zurückhaltend und still. Sein rotes Nike-T-Shirt, das ihm noch eine, wenn nicht sogar zwei Nummern zu groß war, hing ihm vorne über der kurzen Sporthose und seine zarten Finger spielten nervös mit dem Saum. Mathae schaffte es, den Doktor anzusehen, obwohl er den Kopf gesenkt hielt. Fast unterwürfig wartete er darauf, was Herr Heb ihm zu sagen hatte.
"Hallo Mathae,
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