Missing in Action
letztlich hielt keiner lange Johns Blick stand, und so machten sie sich unter Bulls Anleitung wieder an die Arbeit.
»Nicht einfach«, erklärte Grasse leise, die sich wieder erhoben hatte. Sie hatte Namhs Hemd über den Kopf gezogen und so die Wunde verdeckt, aber der sich ausbreitende Blutfleck ließ sich nicht verbergen und verkündete wortlos, was hier geschehen war.
»Sie haben Angst. Kein Wunder. Aber diese Angst darf sie nicht lähmen.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch einmal ein richtiges Gefecht erleben würde.« Grasse lächelte und hob die linke Hand. Ihre Finger waren vollkommen ruhig. »Aber es ist wie Schwimmen: Man verlernt es nicht.«
»Sie haben gute Arbeit geleistet, Grasse.«
»Ich habe Ihnen das Leben gerettet, Leutnant«, entgegnete sie ohne Arroganz, und John nickte.
»Das auch. Aber das war Ihr Job, wir sind ein Team. Und jetzt helfen Sie mir, dieses Ding hier wegzuschaffen.«
Er deutete auf die Überreste des Wesens, das Bull erschossen hatte. Sie packten es an den Extremitäten
und schleiften es weg von den Containern. Vielleicht war es das Blut, vielleicht auch nur der normale Geruch des Tiers, aber es lag ein süßlicher Duft in der Luft, so intensiv, dass John schon bald nichts anderes mehr riechen konnte. Abseits der Arbeitenden ließen sie den Leichnam liegen und zogen dann das andere Wesen dazu.
»Fast wie Flügel«, sinnierte Grasse, die eine der Rückenextremitäten in der Hand wog und sie vorsichtig auseinanderzog. Tatsächlich befand sich eine dünne Haut zwischen Rücken und Gliedmaße. Allerdings sah John nun, dass sich dort noch ein weiteres Gelenk befand, an das sich ein Stück Arm anschloss, das keine Flugmembran hatte.
»Patagium«, stellte er fest, und als er bemerkte, dass sie nicht verstand, fügte er hinzu: »Diese Membranen … wie bei Fledermäusen oder Flughunden. Shakey hat mir davon erzählt.« Er sah ihren amüsierten Blick. »Zwischen den Missionen hat man verdammt viel Zeit und wenig zu tun. Egal. Gehen Sie zu Rourke und halten Sie mit ihm die Stellung. Ich inspiziere den Rest, dann löse ich Rourke ab.«
»Sofort, Sir.«
Sie sprang geradezu auf und salutierte schneidig, als befänden sie sich auf einem Übungsplatz. Ihre Miene war ausdruckslos, aber John glaubte in ihren Augen sehen zu können, dass sie die militärischen Umgangsformen eher parodierte, als sie ernst zu nehmen.
»Dann los, Soldat!«, bellte er in bestem Kasernenhofton. Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte zu
Rourkes Position, das Sturmgewehr vorschriftsmäßig über die Schulter geworfen.
John sah ihr kurz nach, dann lief er selbst zum umgestürzten Baumstamm, wo Cao und Jamie damit beschäftigt waren, einen Kadaver ein Stück in den Dschungel zu tragen.
Dabei funkte er Shakey an: »Flughund, hier Papa Bär. Wie ist die Situation?«
»Hier oben ist alles klar, Boss.«
»Weiterhin Augen auf.« John machte eine kurze Pause. »Und, Shakey – gute Arbeit!«
»Roger, Papa Bär«, ertönte Shakeys Stimme. Er klang gelassen, aber John konnte trotzdem die Freude in seinen Worten hören.
Als Cao und Jamie ihn bemerkten, richteten sie sich auf. Jamie hatte zwei lange Kratzer im Gesicht, die sich von ihrer rechten Augenbraue bis zum Haaransatz zogen. Die beiden Wunden hatten stark geblutet, aber bei Kopfwunden hieß das erst einmal nicht viel. In ihrem dunklen Gesicht und den kurzen schwarzen Haaren klebte jedenfalls noch geronnenes Blut und ließ sie wie eine urtümliche Göttin des Krieges aussehen.
»Alles klar?«, fragte John besorgt, und sie nickte.
»Das Vieh kam von oben«, berichtete Cao mit seiner schnarrenden Stimme. Der Beta zog die Worte oft zusammen, so dass ein solcher Satz wie ein einziges langes Wort klang. »Jamie hat es aufgeschlitzt. Hätte sonst mich aufgeschlitzt.«
John zog eine Augenbraue hoch. Jamie blickte ihn
ungerührt an, dann tippte sie kurz mit zwei Fingern auf das Kampfmesser, das sie hinten am Gürtel befestigt hatte. Mehr Reaktion gab es nicht.
»Lass unseren neuen Doc mal draufschauen«, befahl John.
»Ich hab’s desinfiziert«, erwiderte Cao an ihrer statt. »K-Spray.«
»Trotzdem. Wir wollen nicht, dass irgendwelche toxischen Stoffe in die Blutbahn gelangen.«
K-Spray war das Universalmittel der Justifiers. Es desinfizierte, konnte bei Wunden und auch sonst angewendet werden und hatte eine stark kauterisierende Wirkung. Und es brannte wie die Hölle, wenn man es in eine offene Wunde sprühte. Für Jamie musste es sich anfühlen,
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