Missing in Action
Orange und Rot getaucht, aber für John hatte der Horizont jetzt einen Silberstreif.
Grasse trat aus dem Shuttle. Sie sah so müde aus, wie John sich fühlte, hielt sich aber aufrecht. Ihren Bewegungen
war jedenfalls keine Erschöpfung anzusehen, sie zeigte sich nur in ihrem blassen Gesicht.
»Zwei Verluste heute«, erklärte sie. »Gerade ist Emily Kim ihren Verletzungen erlegen.«
Einen Moment brauchte John, bis er verstand. Emily Kim war eine der beim Absturz schwerer Verletzten. Gewesen , berichtigte er sich selbst. So viel zum verfickten Silberstreif .
»Und wenn Talbot länger als zwei Tage durchhält, wäre es ein Wunder. Er hat schwere innere Blutungen.«
»Wir beerdigen die beiden morgen«, befand John schließlich. Vor seinem geistigen Auge sah er die Reihen der Gräber auf Tordesillas immer länger werden.
7
Es war mitten in der Nacht, als Johns Chronometer ihn mit leichten Vibrationen weckte. Er hatte sich das kleine Gerät in den Schlafsack gesteckt, und so musste er noch halb schlafend danach suchen, denn es war bis an seine Füße gerutscht. Es dauerte lange, bis er gänzlich wach war. Seine Träume waren düster und wirr gewesen, und er musste sich erst aus ihnen befreien.
Um ihn herum war es sehr dunkel, aber nach einiger Zeit konnte er grobe Schemen erkennen; das Licht einiger kleiner Kontrolllampen war gerade hell genug dafür. Überall schliefen seine Leute auf ihren Schlafsäcken oder Decken. Bei der Hitze war kaum jemand zugedeckt. So leise er konnte, nahm John sein Bündel und schlich um die liegenden Gestalten herum bis zum Ausgang. Er schob die Plane zur Seite und trat durch das Loch in der Bordwand hinaus in die sternenklare Nacht.
Er streckte sich kurz, ließ den Kopf kreisen, bis seine
Wirbel knackten, dann zog er seine Uniformjacke über, legte den Gürtel an und schulterte sein Sturmgewehr. Mit einer schnellen Bewegung schwang er sich auf den rechten Container und wurde von einem angenehm kühlen Wind überrascht, der über die Wipfel des Urwalds hinwegwehte. Einen Moment lang blieb er stehen und genoss das Gefühl, bevor er weiterging und auf das Dach des Shuttles kletterte.
In der improvisierten Geschützstation fand er zu seiner Überraschung Bull, dessen gehörntes Profil sich unverkennbar gegen den Sternenhimmel abzeichnete, der überraschend viel Licht spendete. Einen Trabanten, der in der Nacht Sonnenlicht reflektieren konnte, hatte Tordesillas nicht.
»Sarge?«
»Ich habe der Wache freigegeben. Morgen ist ein harter Tag, und da werden die Leute all ihre Kräfte brauchen.«
Und du deine nicht? , schoss es John durch den Kopf, aber er sagte nichts. Bull war einfach Bull. Es gab einen Grund, warum die Konzerne die genetischen Kreuzungen durchführten, und der war nicht gerade schön. Billige Sklavenarbeit, erledigt mit übermenschlichen Kräften und Sinnen.
»Alles ruhig?«
John lauschte kurz in die Nacht, als wollte er sich die Frage selbst beantworten. Tatsächlich war es nicht still, sondern genauso laut, wie er es von einem Wald in der Nacht erwartet hätte. Der Wind ließ die Blätter mit grobem Kratzen aneinanderreiben, und immer
wieder gab es Geräusche, die ganz sicher tierischen Ursprungs waren. Einmal trillerte es weit entfernt, und die Erinnerung an den Überfall auf die Container jagte John einen Schauer über den Rücken.
»Keine besonderen Vorkommnisse«, erwiderte Bull.
Gemeinsam starrten sie auf den Wald, der das Shuttle in einiger Entfernung wie eine dunkle Mauer umgab. Schon einige Meter vom Schiff entfernt waren die Schatten so tief, dass man nichts mehr erkennen konnte.
»Gönn dir mal eine Mütze voll Schlaf«, befahl John freundlich. »Ich übernehme.«
»Okay.«
Der Beta erhob sich, gähnte und kletterte vom Dach des Shuttles hinab. John blieb allein zurück. Einige Minuten lang war da das unangenehme Gefühl, er wäre dem Planeten ausgeliefert, doch dann gewöhnte er sich daran. Das Innere des Shuttles mochte eine Aura der Sicherheit verbreiten, aber das war ebenso Einbildung wie die Angst im Freien. Aus langer Erfahrung wusste John, dass sie die Umgebung kontrollieren mussten, sich ihr nicht unterwerfen durften. Wenn sie zu viel Furcht empfanden, würde sie das lähmen, und damit wäre die Angst sogar berechtigt. Doch selbst mit diesem Wissen fiel es schwer, gegenüber der fremden Welt nicht zu viel Respekt zu haben.
Die Justifiers waren daran gewöhnt, und sie alle wussten, was sie erwartete, aber die ganzen Rekruten waren ein Problem.
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