Missing in Action
Baumstamm hinuntergleiten ließ. »Sie hätten also noch gute zwanzig Sekunden Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen.«
»Ich habe gerade dasselbe getan und bin daher vorläufig resistent«, gab sie zurück.
Er grinste. »Ihr Risiko.«
Tatsächlich schnürte er seine Stiefel auf, brachte es dann aber nicht über sich, sie tatsächlich auszuziehen.
Grasse kramte in ihrem Rucksack und zog schließlich zwei in Silberfolie verpackte Proteinriegel hervor. »Wie wär’s mit Dinner?«
»O Götter, ich glaube, das ist die romantischste Einladung, die ich je bekommen habe. Sie haben nicht zufällig auch noch’ne Kerze und ein eiskaltes Bier dabei?«
Sie lächelte. »Sollten wir je wieder auf einem bewohnten Planeten oder einer Station sein, gebe ich Ihnen gern ein Bier aus. Solange es kein SE -Gebräu ist, zumindest.«
»Dann haben wir einen Deal.«
John wickelte einen der bröseligen Riegel aus und biss in die weitgehend geschmacksneutrale Hülle. Sein Mund füllte sich mit der haferflockenähnlichen Substanz, und er knurrte zufrieden.
»Glauben Sie, dass wir es runter in die Höhlen schaffen?«, fragte Grasse.
John zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Wenn wir so was wie Seile improvisieren können. Die Frage ist aber auch: Was machen wir dann? ARStac sitzt uns im Nacken, und wir haben immer noch keine Vorstellung davon, wie wir von diesem beschissenen Planeten herunterkommen. Entschuldigen Sie die Ausdrucksweise«, fügte er hinzu, weil ihm der Kraftausdruck plötzlich unpassend erschien, nur damit ihm einen Moment später die Entschuldigung noch unpassender vorkam.
Grasse lachte leise. Dann ließ sie den Kopf gegen seine Schulter sinken.
John zögerte einen kurzen Moment, doch dann streckte er den Arm aus und legte ihn der Leibwächterin um die Schulter. Offenkundig störte sie es nicht allzu sehr, denn sie sagte nichts mehr und schloss stattdessen die Augen.
Einen Moment später war er ebenfalls eingeschlafen.
Es kam John vor, als habe er gerade erst die Augen geschlossen, da rüttelte bereits eine Hand an seiner Schulter.
»Boss«, flüsterte es halblaut in sein linkes Ohr.
John öffnete die Augen und wurde direkt von einem schmalen Lichtstrahl geblendet.
»Scheiße, runter damit«, murmelte er.
Das Licht wurde gesenkt, und er konnte Jamie vor sich erkennen. Als Nächstes bemerkte er, dass sein rechter Arm eingeschlafen war und Grasse noch immer an seiner Schulter lehnte und wohl eben dabei war, ebenfalls aufzuwachen. Vorsichtig löste er den Arm von ihr und stand auf.
»Alles so weit ruhig, Boss. Hab ein paar Mal irgendwelche Viecher gesehen, aber nichts, was mir bedrohlich erschienen wäre. Obwohl das Kreischen dieser Vögel einen ganz schön nervös machen kann.«
»Ist gut, Jamie«, flüsterte John müde. »Legen Sie sich noch mal hin.«
»Ich bin fit, Boss«, sagte sie. »Hab vorhin, als Rourke mich geweckt hat, noch’ne Dosis Hallo-Wach eingeworfen. Im Moment könnte ich sowieso nicht schlafen.«
Im Stillen fragte sich John, ob das tatsächlich der richtige Augenblick gewesen war, um sich aufzuputschen, aber auch ohne sich um Jamies Hallo-Wach-Konsum zu kümmern, hatte er genug andere Sorgen, das wussten die Götter.
Gemeinsam gingen sie ein Stück von der Gruppe weg und setzten sich im Schneidersitz vielleicht einen Meter von der Kante entfernt einander gegenüber. John ließ den Blick über seine Leute schweifen, die überall verteilt an den Bäumen lagen und schliefen. Die meisten hatten sich einfach an die Stämme gelehnt, aber
einige lagen auch auf der feuchten Erde. Manche schnarchten, andere murmelten im Schlaf vor sich hin, wieder andere lagen ganz ruhig da.
Während John sie beobachtete, fühlte er sich verdammt noch mal für sie alle verantwortlich. So weit waren sie mit ihm gegangen und hatten sich gut geschlagen. Er wollte nicht, dass sie hier im Dreck verreckten oder von ARStac -Kugeln durchlöchert wurden. Er wollte sie heil von diesem Planten runterbringen, und dann sicher nach Hause.
Jamies Augen folgten seinen Blicken, aber sie sagte nichts. Im Westen zeigten sich bereits helle Streifen am Horizont, die sich rasch erst rosa, dann rot und golden einfärbten. Die Decke der Nacht wurde zerrissen, und die Sonne ging ebenso rasch auf, wie sie am Abend versunken war.
Das erste Licht des Tages beleuchtete ein atemberaubendes Panorama, das sich unterhalb des Abhangs vor ihnen ausbreitete. Ein gewaltiger Strom floss in der Ebene, sicher hundert oder mehr Meter breit,
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