Missing Link
hätten sie uns gefunden. Die Dogon durchstreifen dieses Land schon seit Jahrtausenden. Sie haben nicht nach uns Ausschau gehalten.« Jack griff nach einer Taschenlampe, um nach seinem Notizbuch zu suchen.
»Was meinen Sie damit?«, fragte Dorn.
»Es waren Medizinmänner auf dem Weg, ihren toten Häuptling vor Sonnenaufgang zu begraben. Er muss zur königlichen Begräbnisstätte gebracht werden.«
»Das ist grotesk.«
»Bei den Dogon gehört es zum Glauben, dass sie ihre Toten noch vor dem nächsten Sonnenaufgang begraben - genau wie bei den Ägyptern.«
»Und was ist, wenn diese Nomaden meilenweit von ihrer Begräbnisstätte entfernt sind, wenn ihr Häuptling stirbt?«
»Dann wird er jeden Tag vor Sonnenaufgang in einem provisorischen Grab bestattet.«
»Das stimmt, Ben«, bestätigte Samantha. »Es gibt dokumentierte Fälle von Menschen, die über eine Strecke von achthundert Meilen immer wieder bestattet wurden.«
Sie drehte sich zu Jack, um ihm beizupflichten, doch er hatte sein Notizbuch bereits in sein Hemd gesteckt und marschierte zum Wasser.
»Wohin gehst du?«, fragte Samantha.
»In all den Monaten, in denen ich bei dem Stamm lebte, haben sie mir die königliche Begräbnisstätte nie verraten«, antwortete Jack. »Es war streng verboten. Aber Xwabatu erzählte mir, dass an diesem Ort große Geheimnisse verborgen seien. Vielleicht hat es etwas mit dem Brustschmuck zu tun. Dort muss es ein paar Antworten geben. Er sagte, dort reden sie mit den Vätern des Wissens.«
»Meine Männer sind auf dem Weg, Jack.«
»Ich werde rechtzeitig zurück sein. Aber ich will verdammt sein, wenn ich mir diese Gelegenheit entgehen lasse. Es ist die einzige Chance, die wir jemals bekommen.«
Es herrschte ein langes Schweigen.
Samantha musste die Entscheidung unbewusst getroffen haben, denn bevor es ihr richtig klar wurde, platzte sie damit heraus: »Ich komme mit!«
»Ihr werdet sie nie finden«, meinte Dorn. »Und ihr könntet euch verletzen.«
»Die Shamsasa-Wasserfälle sind nur drei Meilen flussabwärts«, erklärte Jack. »Die Begräbnisstätte muss irgendwo vor den Fällen liegen, sonst müssten sie unterhalb wieder ins Wasser setzen.«
Jack machte sich auf den Weg flussabwärts.
»Samantha, wir haben alles, was wir brauchen. Deine ganze Zukunft liegt in diesen beiden Kisten. Das andere Zeug ist, unter wissenschaftlichen Aspekten betrachtet, unbedeutend«, sagte Dorn. »Außerdem könntest du getötet werden. Ihr solltet beide nicht gehen.«
Dorn fragte sich, was sie zu dieser Impulsivität veranlasst hatte. War es der simple Entdeckerdrang? Vielleicht wollte sie nicht, dass Jack ihr um eine Nasenlänge voraus war. Was auch immer der Grund war, er merkte an Samanthas Blick, dass er die Grenze überschritten hatte.
»Das ist meine Entscheidung, Ben. Und ich gehe.«
Die Wasserfälle
Jack und Samantha kamen nur langsam voran und schleppten sich durch Matsch und dornige Kletterpflanzen. Das Tosen der Shamsasafälle wurde lauter und übertönte allmählich das Brummen der großen Käfer in der Nachtluft. Der Pflanzenwuchs wurde dichter, fast tropisch. Ein kühler Sprühregen von den Fällen legte sich auf ihre Gesichter und Haare. Die Wasserfälle schufen ein Mikroklima, das sich in hohem Maße von dem der trockeneren Ebenen im Westen unterschied.
»Sie müssen ganz in der Nähe sein«, flüsterte Jack, der etwa sechs Meter vorausging. Seine Taschenlampe beleuchtete nur schwach das große Einbaum-Kanu der Dogon, das an einer ruhigen Stelle an Land gezogen worden war.
Samantha kniete in dem Matsch und untersuchte die Fußabdrücke. Die Spuren führten einige Meter landeinwärts, wandten sich dann wieder zum Ufer und verschwanden in Richtung der Fälle.
Jack tippte ihr auf die Schulter und signalisierte ihr etwas in der Zeichensprache. Sie verstand sofort - ihre Lieblingstante war taubstumm. Samantha hatte diese Art der Verständigung schon in der Schule gelernt. Es war ihre und Jacks Geheimsprache gewesen und war es heute noch. Jack wollte, dass sie direkt hinter ihm blieb, damit sie nicht getrennt würden.
Sie signalisierte zurück: Ja, in Ordnung.
Jack zog sein Hemd aus und spannte den Baumwollstoff über die Taschenlampe. So konnten sie zwar im gedämpften Schein den Fußspuren im Schlamm folgen, waren aber ausreichend geschützt, um selbst nicht gleich gesehen zu werden.
Sie gingen etwa fünf Minuten, und mit jedem Meter wurde der Weg tückischer. Der Schlamm wurde von langen Platten aus
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