Mission Ares
morgens.
Seger wußte, daß er Schlaf brauchte. Für solche Fälle
bewahrte er ein Feldbett im Schrank auf.
Er zog die Schuhe aus und kniete nieder zum Gebet. Doch es gelang ihm nicht, sich zu konzentrieren; im Geiste erstellte er ständig neue Prioritätenlisten.
Eigenartigerweise waren die Zweifel, die er im früheren
Verlauf der Mission gehabt hatte – Zweifel, die durch die Feindseligkeit der Atomkraftgegner gesät worden waren –, nun verflogen, wo der schlimmste Fall eingetreten war. Er vertraute auf seine Fähigkeit, die Sache zu bewältigen – was gleichbedeutend mit den Fähigkeiten der NASA war.
Schließlich handelte es sich nur um einen verdammten
technischen Defekt. Einen Defekt, den man beheben würde, nachdem man ihn identifiziert hatte.
Und die NASA hatte schon früher vergleichbare Probleme
bewältigt: er erinnerte sich, daß gerade einmal zwei Jahre nach dem Brand in Apollo 1 Armstrong und Muldoon auf dem Mond gelandet waren. Und nachdem Apollo 13 auf dem Weg
zum Mond explodiert war, hatten die Astronauten nicht nur den Heimweg geschafft, sondern sie hatten daraufhin mit Apollo 14
die erfolgreichste Mission überhaupt durchgeführt.
Er berührte das goldene Kruzifix am Revers. Er fühlte sich leicht, geradezu beschwingt. Sie würden es schaffen; dessen war er sich nun sicher. Mit Gottes Hilfe.
Doch das Beten fiel ihm schwer. Irgendwie hatte er das
Gefühl, daß Gott in dieser Nacht weit entfernt von ihm war.
Gegen vier Uhr morgens schlief er endlich ein. Und um sieben war er wieder auf den Beinen und führte die ersten Telefongespräche.
Donnerstag, 4. Dezember 1980
Apollo-N; Lyndon B. Johnson-Raumfahrtzentrum, Houston
Inzwischen schmerzte der ganze Körper – bis an die Grenze des Erträglichen und darüber hinaus. Jede einzelne Zelle befand sich in Agonie. Priest hatte das Gefühl, als ob sein Körper innen und außen mit Säure benetzt wäre und sich allmählich auflöste.
Er trug noch immer den Druckanzug, und das war vielleicht seine Rettung. Der Schmerz glich nämlich einem heftigen Juckreiz; er hätte sich wahrscheinlich wundgekratzt, wenn er die Haut erreicht hätte. Doch der Anzug hatte auch seine Nachteile. Der Magen rebellierte schon seit Stunden, und er hatte sich im Helm übergeben, der Alptraum eines jeden Fliegers. Doch wenigstens drifteten die Kügelchen aus Erbrochenem ihm nun nicht mehr vor dem Gesicht umher,
sondern hatten sich irgendwo festgesetzt: am Helmvisier oder vielleicht auch im Haar oder auf der Haut. Doch das war ihm egal, solange er das verdammte Zeug nicht mehr sah.
Außerdem roch er nichts mehr, und auch das war wohl nur
von Vorteil.
Er versuchte den Kopf zu drehen und nach Chuck und Jim zu sehen. Doch es gelang ihm nicht. Allerdings hatten sie schon auf seinen letzten Zuruf nicht geantwortet. Sie wirkten unversehrt in den Druckanzügen, wie er selbst wohl auch. Das Erbrochene, der Kot und der menschliche Schmerz waren in den Anzügen eingeschlossen, so daß die Kabine der Kommandokapsel antiseptisch und aufgeräumt wirkte, bis auf die Reihen glühender Warnlampen auf dem Instrumentenpanel.
Zumal er sich auch gar nicht von seinem Fenster abwenden wollte. Dieses Fenster war ihm überaus wichtig, weil es ihm einen Blick auf die Nachtseite der Erde gewährte. Er sah Polarlichter: bunte Wellen, die von den Polen abwärts liefen, hohe Luftschichten, die unter der Einwirkung des Sonnenwinds rot und grün glitzerten. Und er sah Blitze hoch oben in der Atmosphäre, und manchmal auch Lichtbahnen, welche die Netzhaut für lange Sekunden blendeten – Meteore, Körnchen interstellaren Staubs, die in die Atmosphäre eintauchten…
Priest hatte früher mit dem kleinen Petey zu den Meteor—
Schauern emporgeblickt, die am Himmel über dem Dach ihren Reigen veranstalteten. Und nun beobachtete er, wie Meteore unter ihm verglühten. Das ist vielleicht ein Höllentrip, Petey.
Es leuchteten noch andere Lichter in der Nacht.
Im Herzen von Südamerika sah er ein großflächiges Glühen: ein Feuer, das Bäume im Zentrum des Amazonas-Regenwalds verschlang. Und während Apollo-N die Wüsten überflog,
erkannte er das helle Funkeln von Öl-und Gasquellen, die wie eingefangene Sterne in der Finsternis leuchteten.
Die Städte blendeten ihn schier mit ihrer Helligkeit. Wenn sie von Wolken überlagert waren, sogen diese das Licht auf und filterten es, so daß die jeweilige Stadt wie eine große, amorphe Schale aus Licht erschien. Und wenn der Himmel
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