Mission Ares
Tischen, tranken und unterhielten sich leise. In dieser Hinsicht, so wußte York, glichen die Controller den Fliegern, wenn sie einen Kameraden verloren hatten: sie verarbeiteten das; indem sie einfach nur dasaßen und das ›Wie‹ und ›Weshalb‹ erörterten und sich darüber betranken.
York leistete ihnen bis in die frühen Morgenstunden
Gesellschaft.
Schließlich erhob Donnelly sich vom Pult und griff nach dem Logbuch. Er sah auf die Wanduhr und trug die verstrichene Zeit der Mission ein. Dann trug er sich aus. Seine Hände zitterten, und die Unterschrift fiel entsprechend krakelig aus.
Er blätterte im Logbuch zurück. Die letzten paar Seiten waren schlicht unleserlich.
Donnerstag, 4. Dezember 1980
Lyndon B. Johnson-Raumfahrtzentrum, Houston
Es war bereits nach Mitternacht, als Bert Seger Fay vom Büro aus anrief.
Er bat Fay, ihm ein paar frische Sachen zu bringen. Er mußte veranlassen, daß man ihr einen Sicherheitsausweis ausstellte.
Nachdem das ganze Ausmaß der Havarie publik geworden
war, hatte man das JSC und Cape Canaveral hermetisch
abgeriegelt.
Er erkundigte sich nach den Kindern, ohne daß er die
Antworten seiner Frau überhaupt registriert hätte. Dann sagte er Fay, daß er sie liebte und legte auf.
Es war klar, daß er für eine Weile in Houston oder vielleicht auch in Cape Canaveral bleiben würde, falls beziehungsweise wenn die Kommandokapsel nach dem Wiedereintritt geborgen wurde. Fred Michaels hatte ihm bereits gesagt, daß Carter die Bildung einer Präsidialen Kommission veranlaßt hatte, die sich mit der Havarie befassen sollte. Der Präsident erwartete eine volle Aufklärung von seiten der NASA, und die Verantwortung hierfür oblag Bert Seger.
Seger hätte auch nichts anderes erwartet.
Er hatte immer schon gewußt, daß er früher oder später die Verantwortung für den Tod eines Astronauten würde übernehmen müssen.
Die Systeme, die sie bauten, waren einfach nicht zuverlässig genug, um Sicherheit zu garantieren. Das Astronauten-Korps bestand nach wie vor hauptsächlich aus Testpiloten, die das Risiko kannten und es in Kauf nahmen. Dann machte Seger sich um das Bodenpersonal schon mehr Sorgen. Die Leute würden nämlich mit dem Bewußtsein leben müssen, versagt zu haben. Wegen mir wird es nicht schiefgehen. Was geschah, wenn dieses Motto sich in Es ist wegen mir schiefgegangen verwandelte?
Das Telefon klingelte. Es war Tim Josephson, der über die Besetzung des internen Untersuchungsausschusses der NASA reden wollte, der als flankierende Maßnahme zur Präsidialen Kommission gedacht war.
Seger zwang sich, sich auf Josephsons Aussagen zu
konzentrieren.
Er und Josephson verständigten sich bald auf eine Liste, auf der nur noch ein Astronauten-Vertreter fehlte.
»Wie wäre es mit Natalie York?« fragte Seger. »Sie war
Leiterin der Kommunikation, als die Stufe explodierte. Sie hat sich auch unter Druck als besonnen und analytisch erwiesen.
Und sie ist eine Freundin von Priest.«
Josephson war damit nicht einverstanden. »York ist noch ein Anfänger. Außerdem ist sie mit Mike Conlig liiert. Hatten Sie das etwa vergessen? Wie soll sie einen Fall beurteilen, bei dem es vielleicht um Konstruktionsmängel und suspekte Managementpraktiken geht und in den noch dazu ihr Freund verwickelt ist?«
Sie zogen weitere Namen in Erwägung und verwarfen sie
wieder.
Josephson fiel ihm ins Wort. »Bert, ich werde Ihnen sagen, wen Fred haben will. Joe Muldoon.«
»Muldoon? Sind Sie verrückt? Muldoon ist wie eine Bombe, die jeden Moment explodiert.«
»Stimmt schon. Er hat wohl ein großes Maul, doch das
verleiht ihm vielleicht einen Nimbus der Unabhängigkeit, was im Moment nicht schaden kann. Zumal er ein Mond-Spaziergänger war. Fred hat viel Zeit für ihn.«
»Muldoon ist auch gar nicht verfügbar. Er befindet sich im Mondorbit.«
»Aber er wird in einer Woche zurückkommen. Solange haben wir noch Zeit…«
Die Kontroverse dauerte noch für eine Weile an, doch
schließlich fügte Seger sich.
Er hatte Bedenken, jemanden wie Muldoon, dem es an
Fingerspitzengefühl und Umgangsformen gebrach, in eine
derart exponierte Position zu hieven. Wegen dieses
Zwischenfalls würde der Schmutz kübelweise über der NASA ausgeschüttet werden, insbesondere aus Marshall. Er schauderte bei der Vorstellung, womit Muldoon, der
Astronauten-Held, die Presse wohl füttern würde.
Er würde den Deckel draufhalten müssen.
Als Josephson auflegte, war es drei Uhr
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