Mission Arktis
Worte: Ihr zwei könntet noch ein Kind haben.
»Ihr habt euch so gut verstanden«, fuhr er fort, während er den Schnee von den Stiefeln kickte. »Höchste Zeit, dass einer von euch sich daran erinnert.« Sie starrte durchs Fenster. »Ich erinnere mich«, flüsterte sie, mehr zu sich selbst als zu Bennie.
Sie hatte Matt bei einer Untersuchung wegen Wilderei in der Brooks Range kennen gelernt. Einheimische und Regierung waren über die Frage in Konflikt geraten, ob es erlaubt war, im Bereich des Nationalparks für den Eigenbedarf zu jagen. Matt hatte den Staat vertreten, aber nachdem er etwas über die Lebensumstände der einheimischen Stämme erfahren hatte, die weit unter dem Existenzminimum lagen, wurde er einer ihrer beredtesten Fürsprecher. Jenny war beeindruckt gewesen von seiner Fähigkeit, nicht nur das Gesetz, sondern immer auch die Menschen zu sehen – eine Seltenheit unter den Regierungsangestellten.
Während sie zusammen daran arbeiteten, die Sache zu bereinigen und ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen, waren sie sich näher gekommen. Anfangs hatten sie die gemeinsame Arbeit vorgeschoben, um sich regelmäßig zu sehen, aber als ihnen keine solchen Ausreden mehr einfielen, hatten sie angefangen, sich auch privat zu treffen. Ein Jahr später hatten sie geheiratet. Zwar dauerte es eine Weile, bis Jennys Familie einen Weißen in ihrer Sippe akzeptierte, aber Matts Charme, sein umgänglicher Charakter und seine Geduld nahmen sie schließlich für ihn ein. Sogar ihren Vater.
Bennie räusperte sich. »Dann ist es nicht zu spät, Jenny.«
Sie beobachtete ihren Exmann noch einen Moment länger, dann wandte sie sich ab. »Doch, manchmal ist es zu spät. Es gibt Dinge, die man nicht verzeihen kann.«
Bennie sah ihr in die Augen. »Es war ein Unfall, Jen. Irgendwo in deinem Innern weißt du das.«
Nun loderte ihre Wut auf, die immer nah unter der Oberfläche schwelte. Sie ballte die Fäuste. »Er hatte getrunken.«
»Aber er war nicht besoffen, oder?«
»Was spielt denn das für eine Rolle? Schon ein Tropfen Alkohol …« Sie begann zu zittern. »Er sollte auf Tyler aufpassen. Und er hat trotzdem getrunken! Wenn er nicht …«
Aber Bennie unterbrach sie. »Jen, ich weiß, was du von Alkohol hältst. Himmel, ich hab mit dir in Fairbanks lange genug zusammengearbeitet! Ich weiß, was er deinen Leuten angetan hat … unter anderem deinem Vater.«
Für sie waren seine Worte wie ein Schlag in den Magen. »Du überschreitest eine Grenze, Bennie.«
»Irgendjemand muss das tun. Ich war dabei, als man deinen Vater rausgeholt hat, verdammt noch mal! Ich weiß Bescheid! Deine Mutter ist bei dem Autounfall ums Leben gekommen, weil dein Vater betrunken war.«
Zwar wandte sie sich ab, aber sie konnte sich seinen Worten nicht entziehen. Sie war damals erst sechzehn gewesen. Epidemischer Alkoholismus lautete der dafür geprägte Begriff. Er war verheerend für die Inuit, ein Fluch, der sich durch die Generationen zog und eine Spur von Tod und Verstümmelung hinter sich ließ – durch Gewalt, Selbstmord, Ertrinken, eheliche Gewalt, Geburtsdefekte und fötales Alkoholsyndrom. Als Sheriff mit Inuitblut hatte sie miterlebt, wie ganze Dörfer allein wegen des Alkohols regelrecht entvölkert wurden. Und auch ihre eigene Familie war ihm nicht entgangen. Zuerst ihre Mutter, dann ihr Sohn.
»Dein Vater hat ein Jahr im Gefängnis gesessen«, fuhr Bennie fort. »Er ist zu den Anonymen Alkoholikern gegangen. Er hat mit dem Trinken aufgehört, indem er zu den alten Traditionen zurückgekehrt ist.«
»Das spielt keine Rolle. Ich … ich kann ihm nicht verzeihen.«
»Wem?« Seine Stimme wurde schärfer. »Matt oder deinem Vater?«
Jenny fuhr herum, die Fäuste geballt, bereit, auf Bennie loszugehen.
Aber er rührte sich nicht von der Stelle. »Auch wenn Matt kein Tröpfchen getrunken hätte, Tyler wäre trotzdem tot.«
Seine Unverblümtheit stach in das dicke Narbengewebe, das sich in ihr gebildet hatte. Nicht nur ihr Herz war vernarbt, die Narben zogen sich wie enge Fesseln durch ihren Bauch, ihren Hals und die Beine hinunter. Ohne diesen Halt hätte sie nicht überleben können, und so verhielt sich der Körper eben, wenn er keine Chance auf eine echte Heilung hatte. Er vernarbte und wurde hart. Der Schmerz trieb ihr Tränen in die Augen.
Bennie trat auf sie zu und zog sie an sich. In seinen Armen sackte sie zusammen. Nur zu gerne hätte sie Bennies Worte einfach abgetan, ihn weggestoßen, aber tief in ihrem Herzen wusste sie es besser.
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