Mission Arktis
Hatte sie ihrem Vater je vergeben? Wie viel von dieser Wut war zu einem Teil ihrer selbst geworden? Sie war zur Polizei gegangen in dem Versuch, in den Tragödien und sonstigen Wechselfällen des Lebens irgendeine Ordnung zu finden, sie hatte Trost in den Regeln, Vorschriften und immer gleichen Prozeduren gesucht, dort, wo Urteile in genau abgemessenen Zeitportionen verhängt wurden – ein Jahr, fünf oder zehn Jahre –, dort, wo man seine Strafe absitzen und Vergebung für seine Sünden erlangen konnte. Aber Herzensangelegenheiten ließen sich nicht so einfach quantifizieren.
»Es ist nicht zu spät«, wiederholte Bennie an ihrem Ohr.
Sie murmelte ihre Antwort an seiner Brust, die gleiche Antwort, die sie ihm schon vorher gegeben hatte: »Manchmal schon.« In ihrem Herzen wusste sie, dass es stimmte. Was sie einmal mit Matt geteilt hatte, war zerbrochen und konnte nicht wieder geflickt werden.
Wieder ging die Tür auf, und aus dem Diner strömte Wärme, der Geruch nach heißem Öl und auch ein bisschen Lachen. Auf der Schwelle stand Matt. »Ihr zwei solltet euch wirklich ein Zimmer suchen.«
Jenny löste sich aus der Umarmung und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Hoffentlich sah man ihr nicht an, dass sie geweint hatte. »Das Flugzeug ist aufgetankt. Wir können losfliegen, sobald wir alle mit Essen fertig sind.«
»Und wohin wollt ihr fliegen?«, fragte Bennie und räusperte sich.
Matt warf ihm einen finsteren Blick zu. Im Interesse aller hatten sie beschlossen, ihren Zielort lieber geheim zu halten. »Guter Versuch, Bennie.«
Bennie zuckte die Achseln. »Okay, man kann’s ja mal probieren.«
»Finde ich auch«, sagte Matt und drehte sich um. »Hey, Belinda, wusstest du, dass dein Ehemann auf der Veranda mit meiner Exfrau rummacht?«
»Sag Jenny, sie kann ihn haben!«
Matt wandte sich wieder nach draußen und hielt die Daumen nach oben. »Ihr beide seid im grünen Bereich. Viel Spaß!«, rief er und schloss die Tür wieder.
»Und da möchtest du, dass ich mich mit ihm aussöhne?«, sagte Jenny kopfschüttelnd.
Wieder antwortete Bennie mit einem Achselzucken. »Ich bin bloß Mechaniker. Was weiß ich schon?«
23:56 Uhr
An Bord der Drakon
Admiral Viktor Petkow ging die Videomonitore im Kontrollraum durch. Die massive Eisschicht breitete sich wie eine dicke Decke über ihnen aus, angestrahlt von den Lichtern der Drakon. Die vier Taucher in Thermalanzügen hatten die letzte halbe Stunde damit verbracht, eine Titankugel abzusetzen. Dabei hatten sie meterlange Ankerbolzen in die Unterseite der Eiskappe gebohrt und dann die Klemmanschlüsse der Kugel mit den Bolzen verbunden, sodass diese jetzt unter dem Eis hing.
Es war das letzte von fünf identischen Geräten. Alle Kugeln waren in einer Entfernung von hundert Kilometern von der Eisinsel angebracht worden, sodass sie die ehemalige russische Eisstation nun sternförmig umgaben. Die Positionen lagen auf zuvor genau bestimmten Koordinaten. Nun musste nur noch der Hauptauslöser installiert werden, und zwar genau in der Mitte des Sterns.
Viktor blickte hinaus in das dunkle Wasser hinter den Tauchern und stellte sich die riesige Insel und die darin liegende Station vor. Für ihn hätte es keinen besseren Platz geben können, um das Gerät auszulösen.
Moskau hatte ihn angewiesen, die Arbeit seines Vaters zurückzuholen und alles andere zu vernichten. Aber Viktor hatte größere Pläne.
Draußen im Wasser betätigte einer der Taucher den Schalter an der Unterseite des Geräts. Sofort leuchtete eine Reihe blauer Lichter am Äquator der Kugel auf und lenkte Viktors Aufmerksamkeit auf sich. Jetzt war auch das letzte Gerät aktiviert. In dem sanften blauen Schein konnte man die kyrillischen Buchstaben auf der Kugel deutlich erkennen – die Initialen des Arktischen und Antarktischen Forschungsinstituts.
»Und das sind wirklich nur wissenschaftliche Sensoren?«, fragte Kapitän Mikowsky, der neben dem Admiral stand. Seiner Stimme waren die Zweifel nur allzu deutlich anzuhören.
»Der letzte technologische Schrei der Tiefseemessung, dafür entworfen, die Veränderungen des Meeresspiegels zu registrieren. Strömungen, Salzgehalt und Eisdichte.«
Der Kapitän der Drakon schüttelte den Kopf. Er war kein naiver Rekrut. Als sie die Docks des Marinestützpunkts in Seweromorsk verlassen hatten, war Mikowsky über die Parameter der Mission informiert worden: den Admiral auf einer diplomatischen Mission zu der ehemaligen russischen Eisstation zu eskortieren. Aber
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