Mission auf Leben und Tod: Roman (German Edition)
Es war drei Minuten vor elf.
Die Journalisten in der bretonischen Hauptstadt Rennes spielten verrückt. Trotz aller polizeilichen Geheimhaltungsversuche war bekannt geworden, dass in Val André zwei Männer ermordet worden waren. Die Geschichte war am frühen Abend durchgesickert, nachdem die gesamte Bevölkerung von Val André von nichts anderem mehr sprach als den vielen Polizisten, den Streifenwagen, den Blaulichtern, den Krankenwagen, dem Hubschrauber am Strand, den Schüssen, dem geborstenen Fenster. Zut alors! C’est formidable!
Étienne Brix, der Le-Monde -Korrespondent in Rennes, hatte wie immer gegen halb sechs bei der Polizei angerufen. So machte er es bereits seit mehr als drei Jahren und hatte einige Freunde unter den Beamten. Einer von ihnen, ein junger Sergeant Ende zwanzig, ungefähr so alt wie er selbst, hatte ihm den Tipp gegeben. Keine Einzelheiten, keine Anhaltspunkte, sondern nur: »Schau doch mal nach, was heute in Val André los war. Mehr kann ich dir nicht sagen.«
Étienne schaute mal nach. Und was war los gewesen? Verdammt viel war los gewesen. Er rief beim örtlichen Apotheker an, gab sich als Vertreter von Le Monde zu erkennen und bekam für seine Mühen einen ausführlichen Bericht über den anscheinenden Doppelmord. Der Apotheker hatte sich am Strand aufgehalten, als die Leichen abtransportiert wurden, und konnte es kaum erwarten, seine Erlebnisse loszuwerden. Er wusste von den Jungs und den Schüssen und von den vielen Polizisten, die im Einsatz waren. Außerdem, erzählte er, müsse Monsieur Laporte von der Tankstelle was damit zu tun haben, denn zweimal am Nachmittag seien Streifenwagen bei ihm aufgetaucht.
Wie jeder gute Reporter hängte sich Étienne daraufhin an die Sanitäter und erbat sich im Krankenhaus von Saint-Malo Auskunft darüber, wer an diesem Tag verstorben war. Solche Informationen sind in der westlichen Welt der Öffentlichkeit frei zugänglich; waren staatliche Stellen wie der Sanitätsdienst beteiligt, konnte man Todesfälle nicht vertuschen.
Zehn Minuten später standen die Namen und Adressen von Marcel und Raymond in seinem Notizblock. Beide waren wohnhaft in Rennes. Er wollte auch die Todesursache in Erfahrung bringen, doch darüber konnten die Sanitäter keine Auskunft geben. Sie bestätigten lediglich, dass Marcel schwere Verletzungen an den Augen davongetragen und Raymond sich offensichtlich den Arm gebrochen hatte.
Étienne sprang in seinen Wagen und kam kurz vor halb sieben in die Polizeidienststelle in Rennes gerauscht, wo er seine unverblümten Forderungen stellte. Nein, er wolle nicht mit dem diensthabenden Beamten reden. Er sei der offizielle Vertreter der größten Tageszeitung Frankreichs und möchte mit der ranghöchsten Person sprechen. Auf der Stelle.
Der diensthabende Polizist war beunruhigt, fragte Étienne aber nach seinem Anliegen, bevor er den Chef im Gebäude verständigen wolle.
»Ich recherchiere über die beiden Mordfälle in Val André heute Morgen. Ich habe die Namen und Adressen der Ermordeten, beide kommen aus Rennes. Ich habe das Gefühl, dass von der Polizei einiges unter den Teppich gekehrt wird. Wie Sie wissen, zählt ein Mord in diesem Land zu den Ereignissen, die von öffentlichem Interesse sind. Wenn Sie also nicht wollen, dass Le Monde Ihnen die Hölle heiß macht, schicken Sie schleunigst jemanden raus.«
Dem diensthabenden Beamten gefiel zwar nicht, wie hier mit ihm geredet wurde, aber er spürte, dass Probleme anstehen konnten. Ohne ein weiteres Wort ging er ins Büro von Inspecteur Varonne und erklärte ihm, was sich gerade unten abgespielt hatte.
Varonne war alles andere als beglückt. »Mir ist der Fall entzogen worden, bevor er überhaupt ins Rollen gekommen ist«, sagte er. »Soweit ich weiß, ist Paul Ravel aus Saint-Malo dafür zuständig. Soll er sich doch darum kümmern.«
»Inspecteur«, sagte der Diensthabende, »das wäre nicht besonders klug. Man hat uns gesagt, die Sache so lange wie möglich unter Verschluss zu halten. Nachdem jetzt alles rausgekommen ist, sollten wir nichts mehr verschleiern. Natürlich ist das einzig und allein Ihre Entscheidung, Monsieur, aber ich rate Ihnen dringend, Étienne zu empfangen. Er ist ein anständiger Kerl, hat im Moment aber das Gefühl, als wollten wir ihn hinhalten.«
»Damit hat er natürlich recht«, sagte Varonne. »Schicken Sie ihn rein.«
Eine Minute später saßen sich der Reporter und der Polizist am Schreibtisch gegenüber. »Monsieur Varonne«, begann
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