Mission auf Leben und Tod
Tommy weinte, weil er einen ganzen Monat lang seinen Dad nicht sehen würde, und wollte unbedingt mit seinem Baseball-Handschuh durch den Check-in. Anne wollte, dass sich Mack so schnell wie möglich wieder auf den Weg machte, denn die Rückfahrt betrug an die 240 Kilometer, wovon das letzte Drittel über gewundene, einsame Küstenstraßen führte.
Und so verließ Mack in der aufziehenden sommerlichen Abenddämmerung den Flughafen und fuhr nach Norden zur Interstate 95, die zur kurzen Küste von New Hampshire führte und dann immer parallel zur felsigen Küste von Maine. Die Fahrt dauerte mehr als drei Stunden, das Haus wirkte sehr dunkel und abgelegen. Anne hatte monatelang mit Tommy allein hier gelebt, ganz im Gegensatz zu Mack, der jetzt nicht so recht wusste, ob er sich auf die nächsten vier Tage freuen sollte.
Er schaltete einige Lampen an und machte sich Kaffee. Er fühlte sich nicht müde, hatte aber einen Bärenhunger, also machte er sich ein Schinken-Sandwich, stibitzte sich ein paar von Tommys Kartoffelchips und durchsuchte den Kühlschrank nach Eis. Nichts.
Er schenkte sich Kaffee ein, öffnete den großen Umschlag, den er am Vormittag bei Harry abgeholt hatte, und zog die Dokumente heraus. Eingehend begutachtete er die drei Pässe. Es waren auf ihre Art absolute Kunstwerke. Er überprüfte die Daten, die Fotos und die Qualität des Drucks. Dann sah er sich die Führerscheine genauer an, ebenfalls wunderbare Fälschungen, und verglich sie mit den jeweiligen Pässen. Alle Daten stimmten überein.
Er ging mit dem Sandwich und dem Kaffee ins Wohnzimmer und sah im Fernsehen noch die Nachberichterstattung aus Baltimore, wo die Red Sox unerklärlicherweise vier zu zwei verloren hatten. Morgen würde er von Harry das Geld holen, bevor er sich auf seinen Abflug am Samstagabend vorbereitete. Plötzlich merkte er, wie müde er wirklich war, so müde, dass er auf die Wiederholung des Orioles-Red-Sox-Spiels verzichtete und sich ins Bett schleppte.
Er vermisste Anne hier mehr, als wenn er fort war, vielleicht, weil er ohne sie nie in diesem Haus gelebt hatte. Das Doppelbett schien riesig und leer, er rollte sich auf einer Seite zusammen und schlief sofort ein.
Fünf Stunden später schrillte der Radiowecker. Nach alter Gewohnheit war Mack sofort wach; er stand auf, schlüpfte in seine Shorts, sein marineblaues Ausbilder-T-Shirt und zog Socken und Kampfstiefel an. Er hatte einen Plan und musste noch vor Tagesanbruch auf sein, wenn er ihn ausführen wollte.
Er ging nach unten, ließ den Buick an, und sechs Minuten nach dem Aufwachen war er unterwegs. Er brauchte einen Strand, den es in dieser Gegend nicht gab; er brauchte einen Strand, denn da wurden SEALs ausgebildet. Die beiden einzigen SPECWARCOM-Kasernen in den USA lagen an Sandstränden, einmal in Virginia Beach, die andere am Strand von Coronado, San Diego.
Es hatte etwas, wenn man auf Sandstränden trainierte. Das Laufen fiel schwerer, war anstrengender, es kostete mehr Energie und schulte die Aufmerksamkeit, da die Rekruten ihr Augenmerk immer auf die feuchten Abschnitte richten mussten, auf denen man nicht so tief einsank.
In Coronado waren die Rekruten oft noch vor dem Morgengrauen härtesten Torturen ausgesetzt. Ganz schlimm wurde es, wenn der Ausbilder jemandem zubrüllte: »Ins Wasser und in den Sand.« Womit nichts anderes gemeint war als: »Stürz dich mitsamt Stiefeln und allem in den gottverdammten eiskalten Pazifik, komm wieder raus, und wälz dich im Sand.« Es war im Grunde die reinste Folter. Keiner durfte stehen bleiben, die Stiefel füllten sich mit Wasser, die Männer quälten sich meilenweit durch den Sand, mit Füßen so schwer wie Blei. Aber so wurden sie zu Kämpfern geschliffen, es machte sie hart. Verglichen mit der Härte der Kampfschwimmerausbildung war alles andere reines Kinderspiel.
Der gesamten Küste von Maine bis hinauf nach Kanada fehlt es an langen Stränden, dafür finden sich Hunderte von felsigen Buchten, Häfen und Inseln. Luftlinie ist die Küste nur 400 Kilometer lang, rechnet man allerdings nach dem gewundenen Küstenverlauf, kommt man auf 4800 Kilometer. Nur ganz im Süden, von den Isles of Shoals über Kennebunkport bis hinauf nach Richmond Island, gibt es gerade Abschnitte. Hier liegen einige wunderbare unberührte, zum Teil kilometerlange Strände wie Old Orchard Beach, Wells und Scarborough.
Zu diesem, etwa 65 Kilometer von Dartford entfernten Sommerparadies war Mack unterwegs. Er wollte dort sein, bevor die
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