Mission Clockwork: Angriff aus der Tiefe
Sie verzog das Gesicht, dann wandte sie den Blick ab und schloss fest die Augen. »Bitte, verhülle dein Gesicht«, flüsterte sie. »Bitte.«
Modo gehorchte.
»Es tut mir leid«, murmelte sie nach minutenlangem Schweigen. »Ich hatte mich für stärker gehalten. Ich habe dich enttäuscht.«
»So sehe ich nun mal aus. Es ist, wie es ist.«
Sie trieben weiter auf dem Meer dahin. Immer wieder nickte Modo ein. Die Sonne war zu schwach, um sie zu wärmen. Colette zitterte vor Kälte, doch Modo wusste, sie würde nicht wollen, dass er sie in den Arm nahm.
Obwohl auch ihm so kalt war, verspürte er vor allem Durst. Aber das Meerwasser würde seinen Tod nur beschleunigen. »Wasser, Wasser überall und kein Tropfen zu trinken«, wisperte er heiser.
»Ich vermute, das ist wieder einer von euren britischen Dichtern«, sagte Colette. Das waren ihre ersten Worte, seit er ihr sein Gesicht gezeigt hatte. »Englisch ist keine Sprache für Poesie.«
Modo war zu schwach, um Britannien oder die englische Dichtkunst zu verteidigen. Er ließ den Blick über den Horizont schweifen. Die Welt hatte sich auf vier Dinge reduziert: Himmel, Wasser, Sonne und Kälte. Wohin würde die Strömung sie tragen? Während er beobachtete, wie Colette die Augen schloss und eindöste, machte er sich Gedanken, wie lange sie wohl ohne Wasser überleben würden. Seine Kehle war völlig ausgedörrt.
Er nickte ein. Erwachte. Schlief wieder. Er träumte von Keksen. In der Ferne rief jemand seinen Namen – Mrs Finchley rief ihn zum Abendessen. Dazu stand immer eine Kanne Limonade auf dem Tisch.
Aber es war nicht ihre Stimme. Trotzdem klang sie vertraut. Ein Schatten fiel auf die Taucherglocke. »He da! He-ho!«, rief eine Frauenstimme.
Modo blinzelte. Ein Stück entfernt sah er ein Fischerboot mit schlagenden Segeln, und direkt neben der Glocke lag ein Boot mit zwei bärtigen Männern an den Rudern. Am Heck stand, hoch aufgerichtet wie eine Galionsfigur, eine junge Frau.
»Bist du das hinter dem Tuch, Modo?«, fragte Octavia. »Ich bin hier, um dich nach Hause zu holen.«
53
Nur zur Tarnung
G eht es Modo gut?« Octavia saß in der Pension an einem Tisch und blickte die Frau an, die ihr gegenübersaß. Bei der Rettungsaktion auf dem Meer hatte Octavia die französische Agentin nicht gleich erkannt, aber während der Rückfahrt nach Reykjavik hatte Modo ihren Namen mehrfach gesagt und sie hatte insgeheim ihre Schlüsse daraus gezogen. Viele Schlüsse.
»Sie meinen, Mr Warkin?«, erwiderte Octavia mit hochgezogener Augenbraue.
»Nein, ich meine Modo. Er hat mir seinen wirklichen Namen verraten. Unter vier Augen.«
»Hmm. Es geht ihm gut. Was er bestimmt nicht Ihnen zu verdanken hat.«
Colette nippte gelassen an ihrem Tee. Octavia erinnerte sich, dass Colette drei Jahre älter war als sie und in ihrem Leben schon viel erreicht hatte. In ihrem Blick lag eine Intensität, die selbst Octavia aus der Ruhe brachte.
»Sie wollen Modo schützen«, sagte Colette. »Ich verstehe Ihre Feindseligkeit.«
»Wir sind Agenten im Dienst desselben Landes.«
»Ihr Engländer seid wirklich schlechte Schauspieler.«
Was sollte das denn jetzt bedeuten?, rätselte Octavia. »Wenn ich Arzt wäre, würde ich sagen, er leidet an extremer Erschöpfung.«
»Er hat viel Heldenmut bewiesen«, sagte Colette beiläufig. »Er ist ein bemerkenswerter Mann mit vielen Talenten. Und er hat von Ihnen in den höchsten Tönen gesprochen.«
»Von mir?«
»Ja. Er hat gesagt, Sie beide seien verheiratet. Das war nur zur Tarnung, ich weiß. Aber er hat seine Frau oft erwähnt. Er hat sich Sorgen um Sie gemacht. Er wollte nicht von Ihnen getrennt sein.«
»Hat er das gesagt?« Warum musste sie jetzt bloß rot werden? Ihr Blick wanderte unwillkürlich zu ihrem Ehering.
»Ja, das hat er.«
Als Octavia wieder aufblickte, war ihr Blick eiskalt. Was auch immer in ihr vorging, wenn sie an Modo dachte, dieser Französin würde sie es nicht zeigen. »Wir haben eine Rolle gespielt. Ich bin überzeugt, eine erfahrene Agentin wie Sie war bereits zahlreiche Male ›verheiratet‹.«
Colette schüttelte den Kopf. »Diesen Weg habe ich nie gewählt. Ich bin besser, wenn ich allein arbeite.«
»Will niemand mit Ihnen zusammenarbeiten?«, erkundigte sich Octavia.
»Ah, diese offene Feindseligkeit. Aber ich verstehe das.«
Feindseligkeit?, hätte Octavia fast geschrien. Ich habe jede wache Minute damit verbracht, das Meer nach Modo abzusuchen, habe einbeinige, betrunkene Fischer anbetteln
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